piwik no script img

Erfassen, internieren, abschieben

■ Nach monatelangem Streit in der Asylfrage einigten sich gestern beim Kanzlergespräch die Partei- und Fraktionsvorsitzenden auf die Verfahrensbeschleunigung und die "Stadionlösung" für Asylbewerber.

Erfassen, internieren, abschieben Nach monatelangem Streit in der Asylfrage einigten sich gestern beim Kanzlergespräch die Partei- und Fraktionsvorsitzenden auf die Verfahrensbeschleunigung und die „Stadionlösung“ für Asylbewerber.

Stolz lächelnd saßen die SozialdemokratInnen im Bundeskanzleramt den Bonner JournalistInnen gegenüber. Björn Engholm und Hans-Jochen Vogel, Herta Däubler-Gmelin und Hans Wedemeier — sie präsentierten als großen Erfolg, was bei dem knapp dreistündigen Asyl-Gespräch mit Vertretern von CDU, CSU und FDP herausgekommen ist: Die Asylverfahren sollen noch weiter verkürzt werden. Der Asylartikel 16 des Grundgesetzes wird zwar nicht geändert. Aber der Streit darum geht weiter.

Auf den gleichen Plätzen hatten in einer vorhergehenden Pressekonferenz CDU-Politiker, vor allem Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, dargelegt, was zu den gemeinsam beschlossenen „Zielvorstellungen“ gehört. So soll künftig innerhalb von sechs Wochen über „offensichtlich unbegründete Asylverfahren“ rechtskräftig entschieden werden. Höchstens zwei Wochen davon gestehen die PolitikerInnen dabei für das Verwaltungsverfahren zu, eine Woche für die Rechtsmittelfrist, dann zwei Wochen für das gerichtliche Eilverfahren und schließlich noch einmal höchstens eine Woche, um „den Aufenthalt zu beenden“ — sprich die Flüchtlinge auszuweisen und abzuschieben. Außerdem will man die betroffenen Asylbewerber für diese Zeit in Sammellagern unterbringen. Schließlich sieht das gemeinsam verabschiedete Papier der vier Parteien vor, die Zuständigkeit für Asylverfahren künftig beim Bund zu konzentrieren.

Neben diesen von ihnen so genannten „Grundvoraussetzungen“ haben sich CDU/CSU/FDP/SPD aber auch auf eine ganze Reihe von „flankierenden Maßnahmen“ geeinigt, von denen das entsprechende Beschlußpapier freilich nur einige aufzählt. So soll die Strafandrohung für Schlepper von derzeit zwei auf fünf Jahre erhöht werden. Die Asylbewerber sollen sehr viel häufiger als bisher statt Sozialhilfe Sachleistungen bekommen. Die Voraussetzungen der Abschiebehaft will man erleichtern. Empfohlen wird eine „zurückhaltende Praxis bei der Visa-Erteilung bei Ausländern aus den Hauptherkunftsländern und gegebenenfalls eine Erweiterung der visapflichtigen Länder“. Die Grenzkontrollen zu den Nicht-EG-Staaten sollen verstärkt werden. Und weiter will man prüfen, ob es nicht doch möglich ist, ohne Grundgesetzänderung Asylbewerber an der Grenze zurückzuweisen, ihre Anträge abzuweisen, wenn sie vorher in einem „sicheren Drittstaat“ waren oder andere Staaten ihren Asylantrag abgewiesen haben.

„Harmonisierung“ des Asylrechts in der EG

Befriedigt präsentierte Wolfgang Schäuble gestern in diesem Zusammenhang ein Papier zur „Harmonisierung“ des europäischen Asylrechts, worauf sich am Morgen die EG-Kommission geeinigt hatte. Danach soll sich künftig kein EG-Staat mehr auf einen Vorbehalt des nationalen Rechts berufen. Für die Bundesrepublik sagten die Experten eine Verschärfung voraus.

„Es liegt an den Ländern“, „das hängt alles an den Ländern.“ Immer wieder betonte Wolfgang Schäuble, wie wenig der Bund daran beteiligt sein will und wohl auch beteiligt sein wird, diese von SPD und FDP vorgeschlagenen Maßnahmen auch in die Tat umzusetzen. Die Länder müßten ausreichend Platz für etwa 43.000 Flüchtlinge in Sammelunterkünften zur Verfügung stellen. Von ihnen erwarte der Bund Bedienstete, mit denen er seine zusätzlichen Aufgaben erfüllen könne. Bis Anfang 1992 sollten die enstsprechenden Gesetze geändert werden — zum Beispiel der Artikel 87 des Grundgesetzes, der die Zuständigkeiten von Bund und Ländern regelt.

Ausführlich legte Schäuble all das, worauf man sich mit Sozialdemokraten und Liberalen geeinigt hatte, dar — um es anschließend stark abzuwerten: „Nach wie vor bezweifelt die Union die Realisierbarkeit dieser ehrgeizigen Zielvorstellungen.“ Bayerns Innenminister Stoiber ging noch weiter: Die „Zielvorstellungen“ seien „absolut unrealistisch“, der Artikel 16 müsse unbedingt geändert werden.

Schon in der Vergangenheit, so Schäuble, habe die Union alle Möglichkeiten unterhalb einer Grundgesetzänderung ausgeschöpft, um die Asylverfahren zu verkürzen. Und auch er: „Nach wie vor halten wir eine Änderung des Artikels 16 Grundgesetz für notwendig.“ Genaue Vorstellungen davon, wie ein geänderter Artikel 16 des Grundgesetzes denn aussehen soll, wollen CDU und CSU nach Schäubles Worten in Kürze präsentieren. Erfreut verkündete er in diesem Zusammenhang einige Male, daß die Sozialdemokraten sich in dem Gespräch erstmals bereit gezeigt hätten, mit den Unionsparteien „über den Sinn einer möglichen Grundgesetzänderung zu sprechen“. Das, so Schäuble, stärke seine Hoffnung, „daß wir uns heute dem Ende des Streits (über die Asylpolitik, d. A.) genähert haben“.

Grundgesetzänderung „mit SPD nicht machbar“

Die Sozialdemokraten mochten in der anschließenden Pressekonferenz weder die Zweifel der Unionspolitiker an der Effizienz ihrer Vorstellungen gelten lassen noch die Behauptung Schäubles, ab nun lasse die SPD mit sich über eine Grundgesetzänderung reden. „Ein Durchbruch“ unterhalb der Änderung des Grundgesetzes, schwärmte etwa SPD-Chef Björn Engholm, sei das Gespräch gewesen. Anders als Schäuble zeigte er sich auch optimistisch, daß nun geschieht, was nach seinen Worten zu geschehen hat: „Schnell über die Runde kommen“. Daß die Länder ausreichend Sammellager einrichten, hält er für „machbar“. Desgleichen könnten die Länder dem Bund für seine demnächst größere Zuständigkeit genügend Personal zur Verfügung stellen.

Kritisches zu den Sammellagern mochte Björn Engholm nicht gelten lassen. Im Gegenteil, gerade große „Gemeinschaftsunterkünfte“ böten einen besseren Schutz vor Anschlägen Rechtsradikaler als kleine, dezentrale Unterkünfte. Zwar wiederholte der SPD-Vorsitzende, „die Sozialdemokraten stehen für eine Grundgesetzänderung nicht zur Verfügung. Das ist mit uns nicht machbar.“

Zwar bezeichnete er Wolfgang Schäubles Worte von der erstmaligen Bereitschaft der SPD, über den Artikel 16 zu sprechen, als „Fehlinterpretation“. Gleichzeitig stellte der SPD-Vorsitzende jedoch gerade das nicht in Aussicht, was etwa sämtliche Flüchtlingsexperten in Anbetracht der Gewalttaten gegen Ausländer fordern: einen Stopp der Asyldebatte, zumindest seitens der SPD. Im Gegenteil: man werde, so kündigte Engholm an, „sehr kritisch prüfen“, welche Vorschläge für eine Grundgesetzänderung die Unionsparteien demnächst auf den Tisch legen. Und: daß man angekündigt habe, sich diese Vorschläge anzuschauen, „heißt noch nicht, daß wir ihnen zustimmen werden“. Ferdos Forudastan, Bonn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen