: Tartuffeln oder Die Entdeckung Amerikas
Alle warten auf das 500. Jubiläum — wir feiern den 499. Jahrestag ■ Von Karl Braun
Ohne die Macht des Geträumten wäre auch Amerika nicht entdeckt worden, zumindest nicht in dieser Form, nicht von diesem Protagonisten.
Die Existenz der Brot- und Mehlknödel sowie die der damals in Europa noch unbekannten Kartoffel scheinen die Entdeckung des Kontinents bedingt zu haben. Eines Kontinents auf der Flucht vor der Geschichte! Wobei die Fluchtgeschwindigkeit, mit der sich der später Amerika genannte Erdteil von der Alten Welt entfernte (und nutzloserweise sich noch immer entfernt), laut der Thoerie der Kontinentalverschiebung zwei Zentimeter im Jahr beträgt. Nicht schnell genug. Zwei Zentimeter Abdriftung im Jahr, das macht sich als selbständiger Faktor nicht einmal in einem Jahrhundert im Schiffsfahrpreis Barcelona-Buenos Aires bemerkbar. Ganze neun Meter achtundneunzig, seit Kolumbus alias Colón alias Enzo Guili am 12. Oktober 1492 zum ersten Mal die Insel Guanahani betrat. War der flüchtende Kontinent erst einmal gestellt, hatte er schon, wie das bei Flüchtlingen allgemein zu geschehen scheint, alle Rechte auf eigenständige Existenz verwirkt: Die Insel bekam ein Kreuz eingesteckt und heißt seitdem San Salvador. Die Guanahanis, deren Freundlichkeit Colón sogleich als Dienstbarkeit einschätzte und zu nutzen wußte, befanden sich schon, ohne es zu wissen, auf der Drift dem Tod zu; denn schon um 1500 war vom Volk der Tainos, der Eingeborenen der karibischen Inseln, niemand mehr übrig. San Salvador! Aber Amerika mußte aus innerer Notwendigkeit entdeckt werden: Die Kartoffel rief nach den Knödeln und die Form des Klumpens nach der Kartoffel. Und was ist mit Schießpulver und Tabak? Das muß hier unberücksichtigt bleiben, da dieser Zusammenhang noch nicht genügend erforscht ist. Aber Geschichte kennt keine Zufälligkeit. Doch bevor wir uns in Geschichtstheorie verlieren, wollen wir mit den Geschichten der Geschichte beginnen, die der theoretischen Durchdringung imnmer vorauseilen, aus purem Überlebenstrieb.
Die Großmutter Enzo Guilis, der sich später Cristoferus Colón nennen sollte, stammte aus Tirol und war eine Künstlerin in der Kunst der Mehl-, Semmel- und Zwetschgenknödelherstellung. Als Enzo Guili diese Großmutter in Inca auf Mallorca ins Grab senkte, wo er nach dem Verschwinden seines Vaters und dem frühen Tod seiner Mutter allein mit ihr und im Paradies seiner Leibgerichte gelebt hatte, schwor er, angesichts der Graupensuppen und Grießgerichte, die nun seine Verdauung belasten würden, sein restliches Leben der Verbreitung und Verbesserung der Knödel zu weihen.
Da hatte er einen Traum. Er sah in ihm unbekannte Knollengewächse, sie glänzten wie Goldklumpen, sie riefen ihn, er wollte eine davon in die Hand nehmen, aber da war ihm, als würde sein Finger geführt, von der einen Seite des Klumpens auf die andere, und eine Stimme rief ihm zu: wie im Kleinen so auch im Großen, und davon erwachte Enzo, jetzt schon Prophet, aber noch ohne Namen. Denn er erinnerte sich dunkel, von einem Florentiner Handelsmann etwas von einer Weltkugel gehört zu haben: Da behauptete in Nürnberg einer, die Erde habe die Form einer Birne, ganz oben sei das Paradies, und der stumpfe Teil halte die Erde im Gleichgewicht. Gott hatte ihn gerufen und ihm den Finger geführt: Um zu den goldenen Knödeln zu gelangen, ins Paradies, müsse er nur immer weiter westwärts und leicht aufwärts segeln, da finde er dann die unbekannten Teile Asiens, wo selbst Marco Polo nicht hingelangt war, nach Zipangu, von wo es nicht mehr weit sein könne an die Quellen der Flüsse des Paradieses. Wie die Geschichte weitergegangen ist, die glorreiche Entdeckung Amerikas, das Go-west der qualmenden Colts und Zigaretten etc., das alles ist hinlänglich bekannt und wird demnächst übermäßig gefeiert werden; wir möchten nur einige bislang unbekannte Details zur Biographie des Kolumbus hinzufügen.
Um 1480 fand Enzo Guili in einem schäbigen Gasthaus in Südspanien einen Sterbenden, einen Herumtreiber aus Genua, dessen Namen und Papiere er an sich nahm; der Leichnam wurde als Enzo Guili in La Barca de la Florida von den dortigen Franziskanermönchen begraben, denen auch — welch schöner Traum — das irdische Paradies im Kopf umging, und die Enzo Guili in seiner neuen Identität bestärkten. Jetzt war er ein Prophet mit Namen: Cristoferus Colón, ein Auserwählter, der, als Urkolonist, dazu bestimmt war, Christus in die neue Welt des verlorenen Paradieses zu tragen.
Es fehlte ihm nur das Geld für die Reise. Weder bei den portugiesischen noch bei den spanischen Königen und Königinnen hatte er mit der Finanzierung des Unternehmens Erfolg. Doch Colón vertraute fest der Hilfe Gottes, und so fand er sich 1492 in Granada ein, wo das spanische Herrscherpaar die Befreiung Spaniens vom Islam feierte. Alejo Carpentier behauptet in Harfe und Schatten, die kastilische Königin Isabel hätte damals ein Auge auf Colón geworfen, der hätte den Blick erwidert, und die Konditionen für die Entdeckung Amerikas seien im Bett als ehebrecherisches Geflüster zwischen katholischer Königin und zukünftigem Admiral ausgehandelt worden. Der Fluch des Mißlingens, der über dem katholischen Amerika zu liegen scheint, während die Erzprotestanten des amerikanischen Nordens von strahlendem Siegerlächeln zu noch strahlenderem Siegerlächeln eilen dürfen, möchte dieser Theorie recht geben; allein, die reale Geschichte ist verzwickter, als es das Märchen vom Ehebruch des großen Fabulierers aus Kuba will. Aber ohne Liebesgeschichte kommt die Geschichte selten aus, auch in diesem Fall nicht.
Denn Johanna, die damals dreizehnjährige Tochter des spanischen Herrscherpaares Isabel und Ferdinand und Erbin beider spanischer Kronen, verguckte sich völlig in die Augen Colóns, aus denen feste Zuversicht und eiserne Überzeugung des Propheten sprachen. Colón erzählte ihr von Marco Polo und Zipangu, der Birnengestalt der Erde und natürlich den Knödeln seiner Großmutter aus habsburgischem Lande. Die Infantin setzte sich bei ihrer Mutter für Colóns Westfahrt nach Osten ein und träumte: sie steht als Braut in einem Hafen, im einlaufenden Schiff kommt ihr königlicher Bräutigam, überhäuft sie mit Geschenken, lauter goldenen Kugeln und Weltäpfeln, und als er sie zu Tisch bittet, werden ebensolche gelben und roten Knollen als Speise gereicht, die ihr vorzüglich munden. „Alles ist rund“, sagt sie am nächsten Tag scherzhaft zu Colón, „Sie müssen mich zur Frau nehmen, wenn Sie aus Zipangu mit der für uns neuen Paradiesfrucht zurück sind.“ Isabel, Mutter und katholische Königin, sieht diese Begeisterung der Tochter mit Mißbilligung und ernennt Colón zum Admiral, in der Hoffnung, daß dieser lästig-liebenswerte Spinner über den Weltrand in den Orkus abstürzen möge.
Das Gegenteil geschieht. Colón überhäuft Johanna nach der Rückkehr von der ersten Reise mit goldenen Äpfeln und Birnen und erzählt ihr von den Vorgebieten des Paradieses; doch bald bricht er ein zweites Mal Richtung Zipangu auf. Aus Staatsraison wird Johanna 1496 mit Philipp dem Schönen verheiratet; sie willigt in diese Heirat erst ein, als sie erfährt, daß an der Habsburger Tafel verschiedenste Formen von Knödeln serviert werden. Die Knödel und das ganze Habsburger Leben sind eine einzige Enttäuschung: Philipp betrügt und schlägt sie, und sie spinnt sich mehr und mehr in die Erzählungen und Prophezeiungen Colóns ein, der sie aber, in messianischem Eifer befangen, vernachlässigt und fast vergißt. Sie versucht ihn zurückzugewinnen. 1500 wird er auf ihre Intrige in Kuba festgenommen und nach Spanien gebracht. Ob er den eigentlichen Zweck der Reise und seinen Schwur am Grab der Großmutter vergessen habe, läßt sie ihn ermahnen und ermöglicht ihm eine dritte Fahrt auf der Suche nach Zipangu. 1506 soll Johanna aus Anlaß des Todes ihres Gemahls, so will es zumindest die Geschichtsschreibung, wahnsinnig geworden sein; doch es ist anzumerken, daß 1506 ebenfalls das Todesjahr Colóns ist.
Colón mußte scheitern, weil er einer typisch europäischen Täuschung erlag: Er suchte Goldklumpen statt der Kartoffel, so verfehlte er Peru und seine Aufgabe. Doch der Siegeszug der inkaischen Papas, die wegen der Inquisition in Europa diesen dem Papst vorbehaltenen Namen nicht tragen durften, war nicht mehr zu verhindern: Die Tartuffeln, so benannt wegen ihrer Ähnlichkeit zur Trüffel und als Kartoffeln um-, als Erdäpfel und Erdbirnen eingedeutscht, haben die Mägen Europas revolutioniert. Endlich keine Breigerichte mehr. Doch durfte Enzo Guili alias Cristoferus Colón, wie vor ihm Moses, von seinem gelobten Land der Kartoffelklöße nicht mehr kosten.
Nicht so Johanna die Wahnsinnige, die jahrzehntelang als Gefangene im Schloß von Tordesillas an der Vorsehung Gottes verzweifelt und bedrängt von Dämonen ihr Leben zubrachte. Kurz vor ihrem Tode im Jahre 1555 ereignete es sich, daß sie wie aus einem bösen Traum erwachte: Man hatte ihr Kartoffeln und Tomaten serviert und auf ihre Nachfrage bestätigt, daß dies neue Früchte aus dem neuen Kontinent Amerika seien. Johanna die Wahnsinnige konnte in Frieden aus der Welt scheiden: Ihre Sehnsucht nach den Früchten des Paradieses und ihre Liebe zu Colón waren nicht umsonst gewesen und hatten sich im Biß, im einfachen Kosten der Tartuffeln erfüllt, so sehr, daß die alte Dame die Knödelzubereitung aus Kartoffeln vergaß. Die eigentliche historische Bestimmung der von Colón gesuchten Frucht blieb ihr damit verschlossen, und nicht nur ihr, sondern der ganzen lateinischen Welt.
Aber vielleicht zeigt sich in dieser Verfehlung der Bestimmung der Kartoffel bei ihrem gleichzeitigen Siegszug die Tragik nicht nur der Entdeckung Amerikas, sondern die Willkür der Geschichte überhaupt. Gepriesen sei die reine Form des Klumpens.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen