: Honecker bleibt dabei: Konterrevolution
Berlin/Moskau (ap/dpa) — Erich Honecker, einst mächtigster Mann der DDR, zeigt sich weiter uneinsichtig. In einem am Donnerstag abend von der ARD ausgestrahlten Fernseh-Interview sprach der Ex- Staatsratsvorsitzende im Ton des Staatschefs.
Der gegen ihn erwirkte Haftbefehl wegen der Todeschüsse an Mauer und innerdeutscher Grenze bestehe zu Unrecht und müsse aufgehoben werden, forderte er unverhohlen und macht davon eine Rückkehr nach Deutschland aus seinem Moskauer Exil abhängig. Eigene Verantwortung für den Schießbefehl lehnte Honecker kategorisch ab. Und auch, daß er im Herbst 1989 von seinen eigenen Genossen entmachtet worden sei, wies er strikt zurück. Er sei zurückgetreten.
Schützend stellte sich Honecker vor diejenigen DDR-Soldaten, die den Schießbefehl befolgt hatten: Ihre Inhaftierung sei ein „Skandal“, empört er sich. Sie hätten nichts anderes getan, „als ihrer Pflicht getreu ihren Eid zu verwirklichen“. Die Ursachen für das Scheitern der DDR sucht Honecker in einer Verschwörung gegen ihn.
„Meines Erachtens ist es natürlich ein großer Irrtum, daß man annimmt, daß diejenigen, die in Leipzig Sprechchöre machten: ,Wir sind das Volk‘ und sich anderswo hörten, daß sie den Umschwung in der Deutschen Demokratischen Republik herbeigeführt haben. Man muß dieses geschichtliche Bild natürlich zurechtrücken. Ich habe vor kurzem gelesen, eine Schilderung über einen Spaziergang von Herrn Schewardnadse, der inzwischen Sozialdemokrat geworden ist, im Herbst 1984, das heißt noch zur Zeit von Tschernenko, indem man sich darüber geeinigt hat, daß man alles ändern muß, hier in der Sowjetunion und auch woanders. Aber später in dem jetzt veröffentlichten Rahmen schreibt er, daß schon 1986 er zur Schlußfolgerung gekommen sei, im Rahmen dieser Gesamtentwicklung, daß die Existenz der Deutschen Demokratischen Republik künstlich und widernatürlich sei. Wenn man unter solchen Gesichtspunkten unter Ausklammerung von Verbündeten eine Außenpolitik betreibt, dann ist das ganz klar, dann mußte das im Herbst 1989 zu einer Situation führen, in der die Führung der DDR vor der Frage stand: quo vadis?“
Beantwortet wurde diese Frage laut Honecker eindeutig: schnurstracks in die Konterrevolution: „Was sich bei uns vollzogen hat, war eine Gegenrevolution und folgende Annektierung der DDR durch die BRD.“
Wird der Ex-Staatschef nicht doch noch von den Sowjets ausgeliefert, wird er wohl nicht mehr zurückkommen. Eine Aufhebung des Haftbefehls kommt nach Ansicht von Justizminister Kinkel nicht in Frage. Trotz großer Beweisschwierigkeiten gegen frühere DDR-Repräsentanten müsse Honecker sich vor Gericht verantworten. Doch auch das ist nicht sehr wahrscheinlich.
Als Alternative zu Moskau bietet sich immer deutlicher Chile an. Für ein Asyl Erich Honeckers in Chile setzen sich neben der Kommunistischen Partei jetzt auch christdemokratische Politiker in Santiago ein. Die 'Leipziger Volkszeitung‘ berichtete am Freitag unter Berufung auf ein Mitglied der chilenischen Regierung, es bestünden „keinerlei Bedenken“ gegen einen Aufenthalt Honeckers in dem lateinamerikanischen Land. Viele unter dem Ex-Diktator Augusto Pinochet Verfolgte, die in der DDR Schutz gefunden hatten, hätten heute hohe Regierungsämter in Chile inne und rechneten der früheren DDR ihre damalige Solidarität hoch an.
Bereits der Nothilfepaß des Internationalen Roten Kreuzes würde als gültiges Reisedokument genügen, erklärte das Regierungsmitglied. Gegen Honeckers Aufenthalt in Chile gebe es keinerlei Bedenken, da auch kein Rechtshilfeabkommen mit der Bundesrepublik existiere. Zuvor hatte sich bereits die Kommunistische Partei Chiles für eine Einreiseerlaubnis eingesetzt. Wenn der ehemalige Staats- und Parteichef der DDR den Wunsch äußere, seinen Lebensabend bei seiner Familie in Chile zu verbringen, werde er die größtmögliche Unterstützung bei der KP finden.
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