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„Wumm, weg war er“

Braunschweig (dpa/taz) — Ein neues Freizeitvergnügen erobert Deutschland: Survival Game. Gewinnen kann man bei diesem Spiel nur, wenn man möglichst viele Mitspieler „abknallt“.

Im dem Steinbruch nahe Braunschweig tobt am Wochenende eine ganz besondere Spezies Mensch ihre Urinstinkte aus: Verteilt auf zwei Mannschaften hüpfen sie im Militärlook durchs Unterholz und beschießen einander mit Farbkugeln aus Plastikwaffen. Wer getroffen wird, ist raus. „Egal ob an der Fingerspitze oder am Zeh“, erklärt Hunter die Regeln des Spiels, das einen englischen Namen trägt und Survival Game (Überlebensspiel) heißt. Erst nachher auf dem Parkplatz steigen sie wieder in ihre Zivilkluft. Tarnanzug, Knobelbecher und das Plastikgewehr Marke Splatmaster verschwinden im Kofferraum.

Knapp 4.000 Spieler lassen nach Schätzungen von Michael Seeleib an den Wochenenden in deutschen Wäldern die Sau raus. „Das sind ganz normale Menschen“, betont der Gründer des Braunschweiger Survival-Game-Clubs. Lediglich 500 von ihnen spielen auf eigens ausgewiesenen Plätzen. Der Rest robbt unzulässigerweise durchs öffentliche Grün, oft zum Schrecken von Spaziergängern. Die Braunschweiger Polizei erwischte einen Jugendlichen, als er aus dem fahrenden Auto einen jungen Mann mit Farbkugeln beschoß. Gegen vier andere Möchtegernsoldaten wird wegen unerlaubten Waffenbesitzes ermittelt.

In den Vereinigten Staaten jagt eine knappe Million Menschen, das Splatmaster-Gewehr im Anschlag, ihrem wahren Ich hinterher. Innerhalb von zehn Jahren hat sich das Survival Game etabliert, in einer härteren Version auch unter dem Namen „Gotcha“ , einer slang-verkürzten Form von „I got you“, „ich habe dich (getroffen)“, bekannt. Auch in England, Frankreich und den Niederlanden nimmt die Zahl der Mitspieler stetig zu, wie Survival-Freunde berichten. Besonders beliebt sei der Sport bei Managern, die im Kampf um die gegnerische Fahne Streß und Aggressionen abbauen und ihren Teamgeist stärken wollten.

Deutschland ist mit drei Plätzen, wie Seeleib sagt, „völlig unterversorgt“, er rechnet mit einer Zunahme. Rechtsanwälte, Polizisten, Krankenschwestern, Facharbeiter, Auszubildende und Studenten griffen bereits jetzt zur Waffe. Für das Erlebniswochenende nähmen sie Anreisewege bis zu 200 Kilometern in Kauf, zu 70 Prozent Männer. „Die benehmen sich wie große Jungen“, hat Seeleib beobachtet. Oder wie kleine Rambos. Hunter erinnert sich an einen, der zum ersten Fight mit kugelsicherer Weste und zwei Pistolen erschien. „Das dauerte keine Minute. Wumm, weg war er.“

Die Wochenendschießerei ist nicht eben billig: 20 Mark kostet die Tagesgebühr beim Braunschweiger Club. Für die Farbkugeln muß ein Spieler bis zu vierzig Mark pro Spieltag drauflegen. „Die Kosten sind abhängig von der Mentalität der Spieler“, erklärt Seeleib. „Wir hatten Spieler, die es geschafft haben, 1.000 Mark im Monat auszugeben.“ Die Splatmaster-Waffe kostet je nach Modell zwischen 200 und 1.500 Mark. „Die einfache Version schießt sehr ungenau und sieht auch nicht so toll aus“, meint der Fachmann. Die vorgeschriebene Schutzbrille für 110 Mark und der Tarnanzug aus dem Bundeswehrladen runden die stilechte Ausrüstung ab.

Im vergangenen Jahr erreichten Seeleib Anfragen mehrerer Firmen, die gleich die ganze Belegschaft in den Steinbruch schicken wollten, „aber die trauen sich noch nicht so richtig“. Reiner Ehrik-Braun, Spielleiter eines Platzes bei Bonn, weiß warum: „Man bringt das Spiel sehr schnell mit der deutschen Vergangenheit in Verbindung.“ Kein Grund für ihn auf das militärische Outfit zu verzichten. Der „Strampelanzug“ müsse sein, der Tarnung wegen. Wer wolle, könne aber auch in Jeans oder einem Arbeitsoverall mitmachen.

Die Survival-Game-Spieler weisen Vorwürfe, militant oder rechtsradikal zu sein, weit von sich. „Bei uns gibt es keinen Drill und keine Hierarchie. Das ist den Radikalinskis zu lasch“, erklärt Seeleib. Beweis für den harmlosen Charakter des Spiel sind für ihn die Zivildienstleistenden unter den Mitkämpfern, die von den Klubs wie Vorzeigeobjekte hochgehalten werden.

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