: Das kurze Rauschen im sächsischen Blätterwald
■ Presselandschaft in Leipzig: Zeitungssterben nach kurzem Aufbruch/ Jetzt beherrscht wie überall der Springer-Verlag den Tageszeitungsmarkt
Leipzig. Einen kurzen Frühling lang herrschte in Leipzig eine hausgemachte Zeitungsvielfalt: Fünf lokale Tageszeitungen lagen an den Kiosken der 500.000-Einwohner-Stadt, zwei Stadtmagazine und eine Wochenzeitung waren zu haben, 'Bild‘ und 'Super!‘ erschienen mit Lokalausgaben. Der alternative Sproß der neuen Medien, die wöchentlich erscheinende 'daz‘ ('die andere Zeitung‘), schrieb auch überregional Schlagzeilen. Die beiden Stadtmagazine 'Leo‘ und 'Kreuzer‘ teilten sich die alternative bis yuppiehafte Jungleserschaft. Die „Heldenstadt“ wurde schon als aufstrebende Pressemetropole gehandelt.
Derweil ist das Rauschen im Blätterwald zum Säuseln abgeklungen. Bereits im April meldete die 'daz‘ Konkurs an. Vom Markt verschwanden im Sommer innerhalb von vier Wochen sowohl das Stadtmagazin 'Leo‘ wie das Springer-eigene 'Leipziger Tageblatt‘. Die nach der Wende neugegründeten 'Wir in Leipzig‘ ('WiL‘) ist Pleite. Der Springer-Verlag hält nunmehr 75 Prozent des Tageszeitungsmarktes. Ihm gehören seit der Entscheidung der Treuhand, die im April diesen Jahres 13 DDR-Regionalzeitungen veräußerte, zu 50 Prozent das ehemalige SED-Bezirksorgan 'Leipziger Volkszeitung‘ (die anderen 50 Prozent hält der Madsack Verlag aus Hannover) und die 'Bild-Leipzig‘.
Den Zeitungstod starben hauptsächlich die Neugründungen. Lehrstück Leipzig: Verlegerische Blauäugigkeit, west-östliche Kommunikationsschwierigkeiten, die Unterschätzung des Leseverhaltens der hiesigen Bevölkerung wie verpuffter Wende-Idealismus zeigen im Osten nichts Neues. Nur: Die Erfahrungen wurden hier im Zeitraffer gemacht.
Die 'daz‘ versuchte seit Januar 1990 (!) als einzige lupenreine Ost- Gründung einen eigenen Journalismus zu finden. Als das angekündigte West-Kapital ausblieb, platzten nicht nur die ungedeckten Schecks, auch der Idealismus der zerstrittenen Akteure tendierte gen Null. 'Leo‘, dessen Ost-Redaktion sich alternative westdeutsche Stadtmagazin- Verleger suchte, scheiterte weniger an ständig drohender Finanzknappheit denn am alternativen Management. Die 'WiL‘ des West-Verlegers Mathias Finck, als deutsch-deutsche Tageszeitung gefeiert, wollte den aufgeklärten Boulevardjournalismus neu erfinden und schreibt dank abenteuerlicher Geschäfte rote Zahlen (siehe Artikel unten). Das 'Leipziger Tageblatt‘ ('LT‘) schließlich ereilte das Schicksals des Berliner 'Morgens‘: Obwohl konsequent im Wandel hin zu einem kritischen Journalismus, schrieb das Blatt Verluste. Der Springer-Konzern nahm die eigene Konkurrenz vom Markt.
Man liest, was man kennt
Mit dem 'LT‘, das als Organ der LDPD schon zu SED-Zeiten bisweilen einen unbequemen Ton anschlug, ist die interessanteste und einzige bürgerlich-liberale Stimme auf dem Tageszeitungsmarkt verschwunden. Ungleich differenzierter als in der 'Leipziger Volkszeitung‘ ('LVZ‘) manifestierte sich hier der gesellschaftliche wie politische Umbruch. Früher als die staatstreue 'LVZ‘, die erst Anfang Oktober '89 in einer versteckten Meldung die schon über alle Bildschirme flimmernden Montagsdemonstrationen registrierte, druckte das 'LT‘ seit Ende August Leserbriefe, in denen die Massenflucht und die Politik der SED angegriffen wurde. Das 'LT‘ machte Schlagzeilen in Sachsen mit seriösem Enthüllungsjournalismus: Findige Reporter entdeckten beispielsweise das Treiben Schalck-Golodkowskis in Leipzig. Das Engagement der sich freischreibenden Journalisten hat dem 'LT‘ nicht viel genutzt: Die Auflage sank kontinuierlich, bis sie schließlich bei knapp 15.000 stagnierte. Medienfachleute sehen darin das typische Leseverhalten der Neubundesbürger bestätigt: Die meisten Tageszeitungsleser, die nicht 'Super!‘ lesen, finden nach gelegentlichen Ausflügen zu westdeutschen Überregionalen zu ihrer angestammten Abonnementzeitung zurück, die immer noch als Garant für lokale Information angesehen wird.
So stellt die 'LVZ‘ trotz Einbußen mit 350.000 Auflage den Löwenanteil und pflegt ihren gewendeten weinerlich-drögen Stil. Mit der gleichen Pose des Erfüllungsgehilfen, mit der man früher seitenlang die Reden der Genossen abdruckte, werden jetzt Leitartikel in Form von Staatsbürgerkunde-Seminaren geschrieben. Äußerlich präsentiert sich das ehemalige SED-Bezirksorgan seit September 1990 in neuem Layout, dem 'Neuen Deutschland‘ nicht unähnlich. Nach Auskunft der neuen Besitzer schreibt die 'LVZ‘ schwarze Zahlen. Erst kürzlich wurde der Grundstein für eine neue Druckerei vor Leipzig gelegt. Springer und Madsack investieren 300 Millionen in die modernste Druckanlage der neuen Bundesländer.
Sehr schnell entschlossen sich einige Akteure des Neuen Forums im Herbst '89, einen eigenen Verlag zu gründen sowie eine Zeitung herauszugeben. Mit dem symbolischen Startkapital von einer Ostmark erschien im Januar 1990 auf noch zugeteiltem bräunlichen Ostpapier die vierseitige Ausgabe der 'Leipziger anderen Zeitung‘. Kurze Zeit später löste sich eine Gruppe von JournalistikstudentInnen vom Forum Verlag und damit aus der publizistischen Abhängigkeit der Bürgerbewegungen. Aus dem Flugblatt wurde die 'daz‘, die zuletzt als 24seitige Wochenzeitung erschien. Knapp ein halbes Jahr nach ihrem Verschwinden im April '91 wird heftig am Mythos des Revolutionskindes gestrick.
Böse Zungen behaupteten, die 'daz‘ wäre die „natürliche Heimat erfolgloser Literaten und grenzenlos inkompetenter Moralisten“ gewesen, die „der hurtige Systemwechsel wieder im Aus bestätigte hatte und die dies als ewige Opposition“ mißdeuteten. Die westliche Journaille zumindest — „eine respektable Wochenzeitung“ urteilte das 'Handelsblatt‘ — feierte die 'daz‘ als aufmüpfiges Oppositionsblatt made in GDR. Man rühmte die Umwelt-Reportagen, die kryptisch-ätzenden Kolumnen, die Anti-Einheit-Kommentare, die poppigen Comics, die fundamentale Feministinnen-Feder. Hier fand die westdeutsche linke Presse die neuen Ost-Intellektuellen, die in den Redaktionsräumen eines Abrißhauses ihre Träume verwirklichten.
Währrenddessen zerfiel die Redaktion im Produktionsalltag in zwei Flügel. Die Variation eines bekannten Alternativthemas unter dem Schlagwort: Fundi-Fraktion bekämpft Life-style-Seilschaft oder der wöchentliche Kampf um die Schlagzeile. Hinzu kam die desolate finanzielle Lage: Wie die Autodidakten in der Geschäftsführung nach der Währungsunion die Finanzierung der Zeitung bei einem Anzeigenaufkommen nahe Null managten, gilt bis heute als gut gehütetes Geheimnis. Die 'daz‘-Macher sitzen jetzt bei der 'Jungen Welt‘, gründeten eigene Fernseh-Produktionen oder geben das Stadtmagazin 'Kreuzer‘ heraus.
Deutsch-deutsche Mißverständnisse
Knapp zwei Monate nach Erscheinen der 'daz‘ kam die erste Stadtzeitung in Leipzig auf den Markt — früher als in anderen ostdeutschen Städten. Aus dem Dunstkreis der bürgerbewegten Vereinigten Linken fand ein Team von damals noch politisch engagierten Machern zusammen, das nach dem Vorbild westdeutscher Magazine à la 'Zitty‘ eine Leipziger Variante probieren wollte. Starthilfe bekamen die Leipziger von zwei westdeutschen Alternativ-Verlagen, dem Münsteraner 'Stadtblatt‘ und dem Kassler 'Hier und Jetzt‘. Diese finanzierten die ersten Ausgaben, sorgten für den Einstieg ins überregionale Anzeigengeschäft und eine westdeutsche Druckerei und gaben bereitwillig Nachhilfe bei der technischen Produktion. Über das Endprodukt — ein lokalpolitisches Journal — bestand auf beiden Seiten weitgehend Einigkeit. Vorerst.
Die West-Verlage, von ihrem Verständnis her selbstverwaltete Betriebe mit eng gestecktem finanziellen Spielraum, zogen sich nach geleisteter Schützenhilfe weitgehend zurück. Die Redaktion agierte zwar autonom aber im luftleeren Raum ohne feste Verträge und finanziellen Handlungsspielraum. Konkurrenzlos behauptete sich zunächst der 'Leo‘ mit seiner Mischung aus gängig aufgemachten Lokalreportagen, ganzseitigen Zigarettenwerbungen und Serviceteil. Spätestens mit dem Erscheinen eines zweiten Stadtmagazins, des 'Kreuzers‘, im Frühjahr '91 wurde die Luft dünner. 'Leo‘ forderte von seinen Geldgebern gezielte Werbekampagnen und einen festen Etat. Das 'Stadtblatt‘ Münster, nach dem Absprung des Kassler Partner alleiniger Besitzer, fühlte sich zunehmend in die Rolle des Geldgebers gedrängt. „Wir wollten unsere in zehn Jahren gewachsene Struktur der Selbstverwaltung und -entwicklung auf den 'Leo‘ übertragen. Das war unser Fehler“, gesteht sich Harti Herzig, Mitglieder der Stadtblatt GmbH, ein.
Die Münsteraner, die sich über Monate hinweg nicht in Leipzig blicken ließen, verkannten, daß der Leipziger Markt nicht die gleiche Experimentierphase erlaubte, wie zehn Jahre zuvor der westdeutsche. Die Flugblatt- und Schülerzeitungsidylle überdauerte noch nicht einmal den revolutionären Herbst. Von Null auf Hundert in drei Ausgaben sollte sich der 'Leo‘ zum Hochglanz-Polit- Journal mausern. Wichtige Entscheidungen, wie zum Beispiel die Organisation des Vertriebs oder die Akquise auf dem sich entwickelnden lokalen Werbemarkt, versandeten in den Mühlen der Selbstverwaltung zwischen Leipzig und Münster. Mittlerweile ging der Stadtblatt GmbH (jährlicher Werbeumsatz 400.000 Mark bei 10.000 Auflage) auch finanziell die Puste aus. 100.000 Mark hatte man in das Ost- Projekt bereits gesteckt — eine vergleichsweise lächerlich Summe. Jede Ausgabe des 'Leo‘ kostete 40.000 Mark und man schrieb trotz Mitgliedschaft im lukrativen Werbeverbund Ad Eins beständig rote Zahlen. Nach zwei drucktechnisch verhunzten Ausgaben im Sommer sank die Auflage auf 6.000 Exemplare. Die Redaktion setzte der Stadtblatt GmbH kurz vor Satzschluß des Septemberheftes die Pistole auf die Brust: Entweder Festanstellung nach (Ost-)Tarif und verlegerisches Engagement — oder Kündigung. Die Münsteraner weigerten sich, die Forderungen zu erfüllen: „Wir hätten auch gar nicht die finanziellen wie personellen Kapazitäten gehabt“, so Herzig.
Schließlich verkauften die Münsteraner Titel und Werbekunden an den 'Kreuzer‘. Ausgebrüllt.
Eine marktträchtige Kreuzung
Das einzig zukunftsträchtige Projekt scheint in Leipzig der 'Kreuzer‘, mit einer respektablen 15.000-Auflage das derzeit einzige Stadtmagazin. 'Spiegel‘-Edelfeder Matthias Matussek feierte das Monatsheft als „bestgemachtes Magazin in den neuen Bundesländern“ und lobte das junge, ideenreiche Team, das weniger lamentiere, denn senkrecht durchstarte, über den grünen Klee. Beim 'Kreuzer‘ sammelte sich die journalistische Konkursmasse von 'daz‘ und 'Leo‘, die nach den wendezeitliche Freischreibübungen und dem Selbsterfahrungstrip durch den Dschungel der Selbstverwaltung konsequent einem gewaltenteiligen Magazin-Journalismus frönt. Nach dem Motto „Kost the Ost“ versuchen die Macher eine Kreuzung aus Life- style-Journal und kultureller Stadtzeitung mit beschränktem politischen Anspruch. Die Rechnung geht auf: Das Heft hat ein durchgängiges post-poppiges Layout auf Apple- Macintosh-Basis, salopp geschriebene Trend-Titel-Reportagen über Leipzig Nachtbars oder DT 64, bissige bis manirierte Zeitgeist-Kolumnen und ein Promi-Interview fürs Lokalkolorit. Bei allem Selbstbewußtsein hat das 'Kreuzer‘-Team einem abgeschworen — DDR-Nostalgie findet höchstens im Veranstaltungskalender statt.
Ost-Verleger Michael Berninger, früher Geschäftsführer beim 'Leo‘, hat den 'Kreuzer‘ mittlerweile mit einer Kommanditgesellschaft auf finanziell sichere Füße gestellt. Zwei westdeutsche Partner brachten jeweils sechsstellige Beteiligungsummen ein. Der Aufkauf des 'Leo‘ sichert dem 'Kreuzer‘ überregionale Anzeigenkunden. Mit einiger Unbefangenheit akquiriert der findige Verleger allerorten Geld und Öffentlichkeit für sein Journal: Zusammen mit den in Alternativkreisen geächteten Zigaretten-Konzern Philipp Moris startet das Stadtmagzin lokale Werbekampagnen für Dance-Parties. Ob der 'Kreuzer‘ weiter Kasse und Auflage macht, wird sich mit dem baldigen Erscheinen von 'Prinz‘ in Leipzig zeigen. Nana Brink
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