piwik no script img

Die Politische Aura des feuchten Kellers ist dahin

■ »Umwelt-Bibliothek« ist besser untergebracht als vor Jahren/ Bedeutung als Infozentrum der DDR-Basisgruppen ist verloren/ Die argumentative Kraft beruhte auf der Feindschaft gegen den SED-Staat/ Suche nach neuer Motivation

Prenzlauer Berg. Wolfgang Rüddenklau ist ein stämmiger Kerl. Wie er da sitzt im Café der »Umwelt-Bibliothek« (UB), das Gesicht hinter einem dichten Vollbart verborgen, eine »Rothändle« nach der anderen rauchend, erinnert er an einen Alt-68er, der unbeirrt den Wechselfällen der Zeit trotzt. Doch schon bei seiner Antwort auf die Frage, ob es in der UB eine hierarchische Struktur gäbe, wird deutlich, daß der Lebensweg des 38jährigen ganz andere Wendungen genommen hat, als das Klischee meinen läßt. Der gebürtige Thüringer schüttelt den Kopf, und mit einem feinen Lächeln schiebt er statt Marx ein Jesus-Zitat hinterher: »Wenn einer von euch mehr sein will als die anderen, dann soll er euer aller Diener sein«.

Auch im fünften Jahr ihres Bestehens gilt in der UB nach wie vor die Devise: basisdemokratisch und selbstbestimmt, mit einer Mischung aus christlicher Ethik und Hoffnung auf eine andere, bessere Gesellschaft. Doch wo diese sein soll, die Utopie jenseits des realexistierenden Sozialismus, weiß Rüddenklau auch nicht mehr. Er, der in der DDR nach abgebrochenem Theologiestudium und einer Ausbildung zum Jugenddiakon mehrere Jahre als Pförtner arbeitete und nebenbei Gustav Landauer las, träumte nach der Wende wie so viele in der UB von einer selbständigen DDR. »Das Paradies«, sagt er ironisch, »ist irgendwie weg.« Nackt und gräßlich seien die Dinge geworden, die neue Bundesrepublik eine Gesellschaft wie ein Spiegelkabinett, tausendmal gebrochen, mit schwer durchschaubaren Zusammenhängen. »Heute werden wir nicht mehr gehaßt, aber auch nicht besonders geliebt«, resümiert er. Ein wenig Nostalgie schwingt mit, wenn er über die alten Zeiten spricht. In der DDR war alles einfacher und klarer, »hing alles an einem Faden, angefangen vom Bahnhofswärter, bei dem man sich beschwerte«.

Der Gegner war der zentralistische Staat mit seinem Informationsmonopol, mit seiner Arroganz und Blindheit gegenüber der alltäglichen Realität. Dagegen setzte die UB, die 1986 von verschiedenen Basisgruppen aus der Friedens- und Umweltbewegung geründet wurde, den ungehinderten Zugang zu Informationen — ein Schritt, der sensationell war. Erstmals konnte Literatur, die ansonsten in der DDR auf dem Index stand, in halbwegs öffentlichen Räumen gelesen werden, wurden verfemte Künstler wie Bärbel Bohley ausgestellt, sammelte man die Info- Blätter der oppositionellen Gruppen und druckte auf einer primitiven Wachsmatrize ein eigenes Informationsbulletin wie die 'Umweltblätter‘ sowie zeitweise den 'Grenzfall‘. Das Dach für all diese Aktivitäten bot die Zionsgemeinde in Prenzlau Berg mit ihrem Pfarrer Hans Simon, der für die Blätter einen festen Grundsatz prägte, den Rüddenklau aus dem Gedächtnis zitiert: »Was verboten ist, ist nicht in der UB gedruckt worden; was in der UB gedruckt worden ist, ist nicht verboten.«

Viele der heute 7.000 Bücher umfassenden Bibliothek brachten Bundestagsabgeordnete der Grünen in die DDR mit. Freunde, wie der ausgebürgerte DDR-Oppositionelle Roland Jahn organisierten im Westen Kontakte, brachten Geld zusammen, aktivierten die Medien. Auch Rüddenklau tat sein Bestes und kehrte von einem Westbesuch zum 65. Geburtstag seines Vaters vollbepackt zurück. Oft hatte die UB Besuch von den Herren der Stasi, die sich in den feuchten Kellerräumen der Zionsgemeinde an einer Tasse Kaffee wärmten und versuchten, so viel wie möglich von der unerwünschten Lektüre in ihren Manteltaschen verschwinden zu lassen. Heute wissen die UB- Mitarbeiter, daß die Stasi eigens einen »Operativen Vorgang Umwelt- Bibliothek« gebildet hatte — zu deutsch: Bespitzelung. 1987 scheiterte gar der Versuch, die UB zu zerschlagen. Nach Mahnwachen und einer beispiellosen Solidaritätswelle unter oppositionellen Gruppierungen mußten die verhafteten Mitarbeiter der UB, darunter auch Rüddenklau, wieder freigelassen werden.

Die UB entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einem Kommunikationszentrum, einer Sammel- und Anlaufstelle der oppositionellen Gruppen. Die Mitarbeiterzahl der UB, anfangs bei 20 bis 25, ist inzwischen dünner geworden. Heute tendiert sie »gegen zehn«. Rüddenklau hält diesen Rückgang für ein typisches Symptom vieler ehemaliger DDR-Basisgruppen. So wie die UB seien sie alle »sehr stark auf dieses Regime ausgerichtet« gewesen. Das Paradoxe erwies sich als Stärke: Gerade aus der Gegnerschaft, ja Feindschaft gegenüber dem SED-Staat zogen sie ihre Kraft, sich zur Wehr zu setzen. Heute stellt Rüddenklau hingegen eine »Motivationsschwäche« nicht nur bei sich, sondern generell fest. Zwar lebt man seit dem Umzug der UB im Mai 1990 in die Schliemannstraße in Prenzlau Berg trockener, aber auch langweiliger. Keine großen Entwürfe, die sich an einem Sozialismus jenseits des Realen orientierten, stehen mehr im Mittelpunkt, sondern schlichte Grundsätze. »Antifaschismus, Ausländerfreundlichkeit, eine generelle Abneigung gegen Geheimdienste aller Art und eine reservierte Haltung gegenüber der bundesdeutschen Demokratie«.

Weil die einstige Aufgabe, das Informationsmonopol zu durchbrechen, größtenteils entfallen ist, stellen sich auch inhaltlich der UB neue Fragen. Seit längerem wird darüber debattiert, ob und in welche Richtung die Bibliothek sich spezialisieren soll. »Inhaltlich wirklich gut«, so Rüddenklau, laufe dagegen der 'Telegraph‘, eine Zeitschrift, die in der Wendezeit entstand und die inzwischen eingestellten 'Umweltblätter‘ ablöste. 8.000 Stück wurden noch in den Oktobertagen 1989 den Mitarbeitern aus den Händen gerissen. Derzeit werden monatlich rund 2.000 Exemplare verkauft. Themenschwerpunkte sind einerseits die Auseinandersetzung mit der Stasi, andrerseits die Diskussionen innerhalb der Linken — von den Undogmatischen bis hin zur Erneuererbewegung der PDS. Rüddenklau bezweifelt, ob die Auflage gehalten werden könne. Bald erfolgen in den neuen Bundesländern die Mieterhöhungen, wird der Blick auf den Kontoauszug genauer sein. Überhaupt das leidige Geld: In der DDR gab es damit keine Probleme, flossen Spenden genug, war nur das Material wie Papier oder Druckerschwärze schwer aufzutreiben. Heute tauchen andere Probleme auf. Seit kurzem muß die UB monatlich für die Räume in der Schliemannstraße 1.500 Mark aufbringen. Rüddenklau und sieben weitere Mitarbeiter haben eine ABM-Stelle sicher. Sie wollen jeweils von ihrem Gehalt einhundert Mark für die Miete abziehen.

Mit dem neuen System hat man noch so seine Probleme — nicht nur ideologischer Art. Weil auch »ein wenig eigene Bummelei« dazugekommen sei, wurde zum zweiten Mal vom Amtsgericht Charlottenburg der Antrag auf Eintragung ins Vereinsregister abgelehnt. Nun hofft Rüddenklau, daß es beim dritten Mal klappen wird. Denn trotz der Krise der Linken: »Wir wollen überleben.« Severin Weiland

Umwelt-Bibliothek: Schliemannstraße 22, Prenzlauer Berg. di.-do. von 18-22, Café: di.-fr. ab 20 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen