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Doktor sings the blues

■ Fotografien aus N.Y. — Poesie aus der Retorte

Daß der Blues blau ist und von den Schwarzen Amerikas erfunden wurde, weiß ja mittlerweile jeder. In seinem persönlichen Großstadt-Blues über »the big apple« nimmt Dr. Dieter Matthes, fotografierender Homöopath aus Berlin, jene blaue Grundstimmung sehr wörtlich. Nahezu manisch blau, blau in allen Nuancen der blauen Periode sind seine Sichten von New York, vom Stahlblau der Wolkenkratzer- Lobbies über das Nachtblau von Manhattans Avenues zum Graublau der Taube vorm World Trade Center. Dazwischen einige Kleckser heißen Rotes — verschwommene Ampellichter (Taxi Driver läßt grüßen), rote Regenschirme, signalrote Jeans und noch mehr rote Schirme.

Manhattan wird zum Aquarium, zum marinen, blauen Großstadttraum des Doktors, in dem es nur zu regnen scheint, weil die Wassertropfen so ästhetisch an den Karosserien der Buicks und Chevies herunterperlen und überhaupt in einer Regenstadt nichts so schäbig aussieht, wie es in Wirklichkeit ist. Die gesamte metropolitane Umgebung mit ihren Subway-Eingängen, Tiefgaragen und Parking Lots gerinnt zu einem blau verschatteten und blau überfluteten Weichbild.

Und weil der Blues blau ist und von den Schwarzen Amerikas und Manhattans heute noch gesungen wird, dürfen sie sich gleich zu Dutzenden (aber schön poliert!) in den Fotografien von Dr. Dieter Matthes tummeln — natürlich nur in den subalternen Berufen, die ihnen zustehen: als Parkhauswächter, Sekretärinnen, telefonierende und herumgammelnde Sozialhilfeempfänger und einmal sogar als Streifenpolizistin. Die Weißen tanzen am Rockefeller Center in ihren neuesten Gucci-Roben, rufen Yellow Cabs und beäugen mißtrauisch und stark geschminkt den Fotografen — oder, ja richtig, auch sie telefonieren, denn an den Kabinen läuft das Regenwasser so hübsch herunter.

Harte Fakten werden ausgegrenzt. In der Welthauptstadt der Homeless People hat der Doktor bei rund 100 ausgestellten Aufnahmen nur auf dreien den Blues der Obdachlosen diagnostizieren können. Selbst ins nobelste blaue Environment getaucht, scheinen Menschengesichter, die aufgegeben haben, Zaungäste am Großstadtkarussell, nicht fotogen genug zu sein.

Zwischen den Tableaus, die oft thematisch zusammengestellt sind — Verkehr, Prostituierte/Polizisten, Paare, Raucher oder Schattenspiele — manchmal rein ästhetisierend-verkitscht, vermitteln einige wenige Fotografien eine schwache Ahnung davon, was der Blues über New York auch hätte sein können: verletzliche, fragende Gesichter, der Arbeiter auf der Brooklyn Bridge, das Obdachlosenpärchen beim Lunch.

Der Rest versinkt in blau-grauen Nebeln, Großstadtimpressionen in marmorkalte Standbilder gegossen, schwarze Profile als monolithische Skulpturen hinter Mauervorsprüngen, natürlich immer im Goldenen Schnitt — Poesie aus der Retorte.

Man fragt sich, wieso diese fotografische Suade in einer Bezirksgalerie ausgestellt wird, gehörte sie doch eigentlich in einen kommerziellen Rahmen.

Dorothea Kolland, die in dem so wenig geschätzten und bekannten Bezirk Neukölln schon seit Jahren eine erstaunlich frische Kulturarbeit leistet, hat uns in der Galerie im Körnerpark u.a. Mickymaus als Kultfigur ans Herz gelegt, israelische Künstler und Berliner Nachwuchstalente vorgestellt, mit fantastischen Hüten verzaubert und uns zuletzt die bizarren Maschinen-Tiermetamorphosen von Michael Schulze miterleben lassen. In der Wahl der Fotografie-Ausstellungen beweist sie nicht immer eine solch glückliche Hand. Jeannine Fiedler

Blues about New York II. Fotografien von Dieter Matthes , bis zum 24. November in der Galerie im Körnerpark, Schierker Straße 8, Berlin 44

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