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Gaffen und weggeheneine deutsche Eigenschaft

■ betr.: "Holger Deilke verurteilt - 12 Jahre für Maier-Witt?", taz vom 4.10.91

betr.: „Holger Deilke verurteilt — 12 Jahre für Maier-Witt?“,

taz vom 4.10.91

Wenn Günther Wallraff beklagt, daß seine „deutschen“ Kollegen gafften und sich abwandten, wenn er als „Türke“ bei Thyssen angegriffen wurde, wenn in Krefeld brave Bürger ungerührt zusehen, wie einer, der wahrscheinlich stolz ist, ein Deutscher zu sein, einen Türken ersticht, dann ist die Haltung der gesamten Presse genau die gleiche, wenn sie die Staatsschutzjustiz bei der Arbeit beobachtet und die Ergebnisse entweder unterdrückt oder völlig gleichgültig beschreibt — so, als ob es das Selbstverständlichste von der Welt sei, daß eine Bundesanwaltschaft Legenden und Konstrukte produziert und Richter als Erfüllungsgehilfen diese mittels Urteil bestätigen. Es sind und bleiben Staatsverbrechen, die dadurch nicht weniger wiegen, daß das Urteil — verglichen mit der BAW-geschürten ungeheuerlichen Pressekampagne gegen Ute und Holger — vergleichsweise niedrig ausgefallen ist. Jeder der wissen will kann wissen, daß es Teil einer Systematik ist, die mit Gummibegriffen wie Gefahr im Verzuge, gerichtsbekannt, RAF-typisches Verhalten, Lebenstatsachen und so weiter, jederzeit gegen jeden in Gang gesetzt werden kann. In den letzten paar Jahren wurden so 100 Jahre Knast verhängt, um die Legenden der BAW vom Terrorismus zu schüren und ein Grundkonzept für die gerichtliche Verfolgung von politischem Widerstand zu schaffen.

Aufgrund der allein in den letzten vier/fünf Jahren an Bundesanwaltsschreibtischen entstandenen Legenden und Konstruktionen sitzen — nur um ein paar Namen zu nennen — Perau, Sievering, Hornstein, Kluth, Prauss, Hofmeier, Thoene, Deilke, Feifel. Und alle draußen gucken weg. Die meisten Journalisten, die sonst so gern „Skandale“ aufdecken, und die gesellschaftlichen Gruppen, die sich immer lautstark zu Wort melden, wenn sonntags ungeborenes Leben geschützt und die Menschenrechte beschworen werden müssen.

Schweigen sie aus Angst vor der Justiz? Oder weil sie die Verfolgung und Vernichtung politischen Widerstands in Ordnung finden? Oder schweigen sie, weil ihnen einfach egal ist, was da passiert?

Was auch immer der Grund ist! Ihre Diskussionen über die „unselige deutsche Vergangenheit“ sind reine Heuchelei. Sie hat sie längst schon wieder eingeholt. [...] Helga Prauss,

Frankfurt am Main

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