piwik no script img

Will Rußland mit Hilfe der USA ein Mini-SDI?

■ Der stellvertretende russsiche Verteidigungsminister Schlykow spricht von einer weitgehenden Übereinkunft mit amerikanischen Militärs/ Kein Vertrauen in die Behauptung Gorbatschows, er kontrolliere die Atomwaffen auf sowjetischem Boden

taz — Die russische Föderation will sich US-amerikanischer Hilfe bedienen, um sich mittels einer „Mini- SDI“ vor atomaren Drohungen seitens ehemaliger Sowjetrepubliken zu schützen. Nach einem Bericht der 'Independent‘-Journalisten Jenkins und Bellamy war dies der Kern einer Rede, die der frisch aus den USA zurückgekehrte stellvertretende russische Verteidigungsminister Vitali Schlykov auf einer internationalen Konferenz in Rimini hielt. Nach Schlykow wurde auf Expertenebene ein Projekt ausgearbeitet, „daß auf die mögliche Proliferation von Atomwaffen zwischen den (nichtrussischen, d.A.) Republiken der ehemaligen Sowjetunion antwortet“. Der stellvertretende Verteidigungsminister berichtete, es gehe um ein Satelliten-Frühwarnsystem, das das gesamte Territorium der ehemaligen Sowjetunion umfasse. Die Anti-Raketen-Raketen würden allerdings nicht via Satellit sondern von Flugzeugen, vom Meer und der Erde aus abgeschossen. Ein rein bodengestütztes System lehnte der russische Militär unter Hinweis auf die Größe der Sowjetunion ab. Das Verteidigungssystem sollte nach seiner vollständigen Installierung in der Lage sein, bis zu 200 auf die russische Föderation geschossene Raketen abzufangen. Nach Informationen aus dem Stab Schlykows würde die russische Föderation etwa 50 Satellitensensoren benötigen, dazu etwa Tausend Anti-Raketen-Raketen.

Aus der Umgebung Vitali Schlykows war zu hören, daß die sowjetische Regierung gegenwärtig keineswegs die Kontrolle über das nukleare Potential auf dem Boden der Sowjetunion ausübe. „Die Welt sollte den Worten Gorbatschows keinen Glauben schenken, wonach die Atomwaffen sicher in der Hand der Zentrale seien. Das ist nicht so. Diejenigen Republiken, die Atomwaffen besitzen, werden sie behalten.“ Schlykow betonte, daß der Vorschlag zu einer amerikanisch-russischen Zusammenarbeit auf anti-ballistischem Gebiet die Unterstützung der USA- Militärs, aber auch des sowjetischen militärisch-industriellen Komplexes hat, der auf neue Aufträge angewiesen ist. Die Kooperation solle aber nicht als der Beginn eines russisch- amerikanischen atomaren Kondominiums angesehen werden. „Wir sehen die künftige Entwicklung der sowjetischen bewaffneten Kräfte als Teil eines globalen Verteidigungssystems.“ Drei Fragen zum Bericht von Jenkins und Bellamy sind angebracht. Wenn es stimmt, daß die nicht-russischen Republiken, das heißt Kasachstan und die Ukraine, lediglich über atomare Gefechtsfeldwaffen verfügen, wie soll dann von ihnen eine Raketenbedrohung Rußlands ausgehen? Was hindert die sowjetische Armee eigentlich daran, nach Wunsch alle Atomwaffen auf den Boden Rußlands zurückzuziehen? Wozu brauchen die Russen die Hilfe der USA, wenn es ihnen schon nach dem ABM-Vertrag möglich war, um Moskau und Leningrad Anti-Raketen-Raketensysteme aufzustellen und sie von dieser Möglichkeit auch Gebrauch machten? Christian Semler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen