: Asylrecht: CDU kocht SPD weich
■ Koalitionsparteien wollen die mit Hilfe der SPD entwickelten „Zielvorstellungen“ zum Verfahren mit Asylbewerbern festklopfen/ Gleichzeitig bestehen sie weiter auf einer Änderung des Grundgesetzes
Bonn (afp/taz) — Was Immigrantenorganisationen, Wohlfahrtseinrichtungen, Gewerkschaften und Kirchen seit Wochen fordern — Bonn schert sich einen Dreck darum: Die Asyldebatte wird nicht etwa eingestellt, sondern weiter angeheizt. Die Koalition hat gestern einen gemeinsamen Antrag vereinbart, den sie am Freitag im Bundestag einbringen will. Darin sollen die im Parteienkonsens verabschiedeten „Zielvorstellungen“ zur Beschleunigung der Asylverfahren bekräftigt und Bund und Länder zur zügigen Umsetzung gedrängt werden. Die weiter anhaltenden rassistischen Überfälle sind den Parteien keinen Kommentar mehr wert.
Auch die Hoffnung der Sozialdemokraten, mit dem Parteienkompromiß vom letzten Donnerstag den Grundgesetzartikel 16 aus der Schußlinie zu nehmen, wird mit jedem Tag brüchiger. Nach Schäuble und Kohl haute gestern Friedrich Bohl in die Kerbe. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion warf der SPD vor, sie habe nicht die Kraft, den „Asylmißbrauch“ wirksam anzugehen. Die Union gehe weiter davon aus, daß die Zahl der AsylbewerberInnen nur durch eine Änderung des Grundgesetzes verringert werden kann.
Die „Zielvorstellungen“ könnten nur umgesetzt werden, wenn die Bundesländer ihre Verpflichtungen einhielten. Sollten die Länder dazu nicht in der Lage sein, „dann ist das Makulatur“. Auf die Frage, warum die Union nicht schon jetzt einen Antrag auf Verfassungsänderung in den Bundestag einbringe, sagte Bohl: „Es ist legitim, sich den Zeitpunkt auszusuchen, der erfolgversprechend ist.“ Der Druck auf die SPD, einer Grundgesetzänderung zuzustimmen, nehme immer mehr zu.
Auch Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) ist inzwischen umgefallen. Hatte sie sich noch vor wenigen Monaten explizit dafür ausgesprochen, den Artikel 16 zu erhalten, meinte sie gestern, wenn die bisher vorgeschlagenen Maßnahmen zur Beschleunigung der Asylverfahren nicht greifen sollten, müsse eine Grundgesetzänderung her.
Die stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Däubler-Gmelin beklagte, daß im Bundesamt für Asylbewerber noch immer 200.000 Anträge unerledigt seien. Den Brief von Innenminister Schäuble, in dem er die Länderchefs auffordert, sich bis 25. Oktober verbindlich der Umsetzung der „Zielvorstellungen“ zu verpflichten, bezeichnete die SPD-Politikerin als „schlichtes Ablenkungsmanöver“. Zunächst müsse das Kabinett beschließen, daß der Bund die Kasernen und andere Liegenschaften für Sammelunterkünfte freimache.
Unterdessen hat Niedersachsen trotz der anfänglichen Weigerung des grünen Koalitionspartners beschlossen, den Parteienkompromiß zur Beschleunigung der Asylverfahren so schnell wie möglich umzusetzen und Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber einzurichten.
Der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) will die Verfahren weiter beschleunigen, wenngleich „wir auch erhebliche und begründete Zweifel an der Realisierbarkeit [haben]“. bam
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen