: Reichstag ist erst in zehn Jahren fertig
■ Dem Kabinett wurde gestern vom Arbeitsstab Berlin/Bonn ein Zwischenbericht für den Umzug in die Hauptstadt vorgelegt/ Kohl fühlt sich dafür verantwortlich, daß Bonn nicht ins Abseits gerät
Bonn (dpa/ap) — Die vom Bundestag geforderte Arbeitsfähigkeit von Berlin als Regierungssitz in vier Jahren scheitert allein daran, daß das Reichstagsgebäude als Tagungsstätte des Bundestages erst in einer Zeit von sechs bis zehn Jahren umgebaut werden kann.
Das geht aus dem Zwischenbericht des Arbeitsstabes Berlin/Bonn hervor, den das Kabinett gestern in Bonn zustimmend zur Kenntnis nahm. Innenstaatssekretär Franz Kroppenstedt erklärte, konkrete Umzugspläne und Kosten könnten noch nicht vorgelegt werden, es laufe aber ein „Prozeß der ständigen Verdichtung“.
Fest steht mittlerweile, daß für den Umzug der Ministerien eine Mischform gefunden werden soll, die so aussieht, daß einige Ministerien insgesamt nach Berlin umziehen, andere insgesamt in Bonn bleiben und von einer dritten Gruppe nur der „ministerielle Kernbereich“ in die Hauptstadt geht. Das Kabinett habe den Auftrag erteilt, dies zu konkretisieren, sagte Kroppenstedt.
Der Arbeitsstab, dem Staatssekretäre aus den Ministerien des Inneren, für Bau, Finanzen, Wirtschaft, Verkehr und der Chef des Bundeskanzleramts angehören, kündigte an, er werde über Kosten auch in dem zum Jahresende angekündigten Konzept für den Umzug keine konkreten Angaben machen können. Denn: „Diese Aussagen werden zunächst nur in Teilbereichen und im Hinblick auf noch ausstehende kostenrelevante Entscheidungen und zahlreiche Variable nur mit Vorbehalten möglich sein“.
Kroppenstedt wies darauf hin, daß die Bundesregierung zeitlich gesehen unmittelbar nach dem Parlament nach Bonn gehen will. Deshalb werde der Bundestag mit seiner Entscheidung, wann er nach Berlin übersiedeln will, die Zeitschiene vorgeben. Für den Umbau des Plenarsaals des Reichstagsgebäudes gebe es drei Alternativen, die mit einem Zeitbedarf von sechs bis zehn Jahren verwirklicht werden könnten. Das Bundestagspräsidium hatte sich mit den Parlamentarischen Geschäftsführern der Fraktionen auf das Reichtagsgebäude als Tagungsstätte festgelegt.
Dem Zwischenbericht zufolge gibt es für die „Unterbringung von Regierungsfunktionen in Berlin“ genügend Altbauten und Flächen für Neu- und Erweiterungsbauten. Die Gebäude hätten jedoch oft eine geringe Nutzungsfläche, lägen weit auseinander, und es sei fraglich, ob sich die Sanierung lohne und ob sie zum gewünschten Zeitpunkt zur Verfügung stünden. Der Arbeitsstab mahnte die Ministerien: „Alleingänge einzelner Ressorts zu einer Vorabstandortsicherung sind nicht zweckdienlich und daher zu unterlassen.“
Bei der Versorgung von Regierungs- und Parlamentsmitgliedern mit Wohnungen werde es „erhebliche Probleme“ geben, heißt es in dem Zwischenbericht weiter. „Bereits heute ist der Wohnungsmarkt in Berlin von einem erheblichen Nachfrageüberhang gekennzeichnet.“ Die Entwicklung der Preise für Grundstücke und Häuser sowie der Mieten „weist steil nach oben“.
Kroppenstedt sagte, der anstehende Umzug habe in den Ministerien doch „für erhebliche Unruhe unter den Mitarbeitern“ gesorgt. Der größte Teil der Arbeitsplätze verbleibe in Bonn, für die Prozentzahl gelte die Formel „50 plus x“. Und wie groß „x“ sei, müsse noch konkretisiert werden. Jedenfalls könnten sich die „sozialen Probleme der Mitarbeiter gut lösen lassen“.
Der Staatssekretär erklärte, es sei noch nicht entschieden, ob es für den Umzug ein Gesetz oder einen Staatsvertrag gebe. Der SPD-Abgeordnete Hans Wallow meinte dazu in Bonn: „Das Milliardending Hauptstadtumzug kann nur auf der Basis eines zustimmungspflichtigen Bundesgesetzes erfolgen.“
Der Beschluß des Bundestages für den Umzug nach Berlin soll in allen seinen Teilen und soweit erforderlich in Form eines Gesetzes umgesetzt werden. Das versicherte auch Bundeskanzler Helmut Kohl. Nur so ließen sich verläßliche Grundlagen für persönliche und unternehmerische Zukunftsentscheidungen schaffen.
„Ich gehe davon aus, daß wir bald Klarheit darüber haben, welche Ministerien hier bleiben, welche nach Berlin gehen und welche Teile dabei zugunsten Bonns ausgegliedert werden“, erklärte der Kanzler. Bonn solle auch in Zukunft Verwaltungszentrum der Bundesrepublik Deutschland sein. „Ich empfinde es auch als persönliche Verpflichtung, mit dafür zu sorgen, daß Bonn und die Rhein-Sieg-Region nicht ins Abseits geraten und die Zukunft erfolgreich meistern“, sagte Kohl.
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