Prädikat: besonders jugendfrei

■ Franco Zeffirelli verfilmt „Hamlet“

Aus Wittenberg kommt Hamlet zur Beerdigung seines Vaters angereist. Aus dem Hintergrund der Szenerie beobachtet er, wie sich seine Mutter Gertrud über den Leichnam ihres Gatten im noch offenen Sarkophag beugt. Der blassen blonden Frau rinnen die Tränen übers Gesicht. Sie heftet ihrem Mann einen Haarschmuck an das gepanzerte Revers. Noch einer verfolgt die stille Trauerzeremonie; es ist Claudius, der Bruder des Vaters und neue Mann Gertruds. Mißtrauisch beäugt er ihre letzte Hingabe an den anderen; bis Gertrud seinen Blick entgegnet und ihn lange ansieht. Da ist er bereits, der Moment des Verrats und des schwachen Weibes. Zeffirelli inszeniert und nutzt ihn weidlich.

Alles ist steinern. Der Sarkophag, in dem der gemordete König liegt, wie auch der Thron, den Bruder Claudius als sein Nachfolger besteigt. Schloß Helsingör ist eine Steinburg mit Gräben und hohen Zinnen, direkt am Meer gelegen, wo die Möwen kreischen; nur einmal entfernt sich die Kamera ins Landesinnere, wo es einen lieblichen Bach für den Abgang der einst lieblichen Ophelia gibt. Zeffirelli hat seine Hamlet-Version im Übergang vom Mittelalter zur Renaissance angesiedelt; eine rein äußerliche Angelegenheit. Die Frauen tragen lange, fließende Gewänder und riesige Zöpfe, die ihnen von den Schläfen bis zur Hüfte reichen. Die Männer sind gepanzert und gewappnet. Mel Gibson als Hamlet ist ein Haudegen, der vor Gesundheit und zurückgehaltener Energie nur so strotzt. Er verteilt zynisch Bonmots, die um so besser ankommen, als Zeffirelli das Shakespeare-Drama zu einer knalligen Kurzversion zusammengekürzt hat. Allerdings naturbelassen, in Shakespeare-Sprache. Jeder Satz kommt einem bekannt vor.

Zeffirelli, ausgewiesener Shakespeare- und Opernregisseur mit Hang zum großen Melodram, hat Hamlet um seine politische Komponente, die mit der Zeitenwende einhergeht, erleichtert. Die neuen Machthaber, der Norwegerkönig Fortinbras und sein Gefolge, die bei Shakespeare am Ende des Familiendramas ungerührt die Nachfolge antreten, tauchen bei ihm erst gar nicht auf. Dafür scheut Zeffirelli nicht davor zurück, die ödipale Variante zu verdrehen. Im dritten Akt sucht Gertrud ihren Sohn zur Rede zu stellen; das Gespräch kehrt sich um: Hamlet als Sittenwächter, der seiner Mutter moralisch so zusetzt, bis sie, vollkommen verzweifelt, ihm mit heftigen Küssen den Mund zu verschließen sucht. Die moralische Ordnung bleibt jedoch gewahrt. Hamlets Vater fährt als Geist dazwischen.

Zeffirelli setzt in solchen Momenten auf falsche Effekte. Schon zu Beginn, als Hamlet einer Erscheinung bis in die oberste Zinne eines Turmes folgt und diese sich dort oben als seines Vaters Geist dem Sohn offenbart, wird der Geist erst einmal in Großaufnahme eingeblendet. Die Überraschung und Spannung, wer oder was diese Erscheinung nun sei, der Hamlet zu folgen sucht, ist damit effektheischend erledigt.

Hamlet ist Zeffirellis jugendfreier Held, der alle anderen an die Wand spielt. Ein Sieg in Sympathiepunkten. Seinen Höhepunkt hat er unzweifelhaft in der Fechtszene mit Laertes, den er mit kleinen Mätzchen und stets überlegen austrickst, wobei er augenzwinkernd seiner Mutter zunickt. Er behandelt zwar die kleine Ophelia mies, die einen ganz rührenden Wahnsinn, frei von jeder Rachsucht oder Bitterkeit, an den Tag legt; er ersticht ihren Vater Polonius, als sich dieser während Hamlets Gespräch mit Gertrud hinter einem Wandvorhang versteckt. Doch diese Schuld macht ihn nur sympathischer, als gelte es eine neue Popikone zu kreieren. Zeffirellis Hamlet — ein Shakespeare für die Jugend, wie sie nicht sein sollte: den Vätern gehorsam und den Müttern hörig. Sabine Seifert

Franco Zeffirelli: Hamlet . Mit Mel Gibson, Glenn Close, Alan Bates, Paul Scofield, Ian Holm, Helena Bonham-Carter. Kamera: David Watkin. Großbritannien 1990, 130 Min.