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Der Liberalismus nützt nur einer kleinen Oberschicht

Heute geht in Bangkok auch der Gegenkongreß der Umweltgruppen zur IWF/Weltbank-Tagung zu Ende/ Lebensbedingungen der Armen im Vordergrund  ■ Aus Bangkok Sven Hansen

„Was ist der Unterschied zwischen totalitär und autoritär? Eine totalitäre Regierung verhaftet, foltert und mordet. Eine autoritäre hingegen überläßt vieles davon dem privaten Sektor.“ Unter Gelächter im Auditorium hatte Professor Saneh Chamarik, Vorsitzender des Bündnisses von 220 thailändischen Nicht-Regierungsorganisationen (NGO; Umwelt- und Dritte-Welt-Gruppen) den Internationalen Gegenkongreß zur offiziellen IWF/Weltbank-Tagung eröffnet. Anders als beim Gegenkongreß in Berlin 1988, auf dem die Verschuldung im Mittelpunkt stand, ging es beim „People's Forum“ in Bangkok um die Entwicklungsphilosophie der Weltbank.

„Menschen werden zu Arbeitskräften reduziert und die Natur zu Rohstoffen“, sagte Saneh. Der Privatsektor, eine kleine Schicht von Industriellen, Geschäftsleuten und Bänkern profitiere vom wirtschaftlichen Liberalismus, während dieser für die breite Bevölkerung mit autoritärer Herrschaft und der Zerstörung ihrer Umwelt einhergehe. Nach der Weltbankphilosophie sei die Aufgabe des Staates, die Löhne niedrig zu halten, den Zugang zu Rohstoffen zu sichern und sich selbst auf reine Verwaltungsfunktionen zu reduzieren. Saneh: „Ökonomischer Liberalismus richtet sich gegen die Freiheit und die Rechte des Volkes, und damit gegen die Demokratie.“

Dafür nahm der Gegenkongreß das Verhältnis zur Umwelt als Beispiel. Unterteilt in die Bereiche Wald, Wasser, Landwirtschaft und Industrialisierung/Stadtentwicklung, zeigten Fallstudien aus zwölf Ländern, wie sich die offizielle Entwicklungspolitik auf Mensch und Natur auswirkt. Gleichzeitg wurden Gegenmodelle vorgestellt, die aus Sicht der lokalen Bevölkerung erfolgreich sind.

Staudämmen in Indien wurden Energiesparpläne und traditionelle Bewässerungssysteme in Thailand gegenübergestellt. Auf den Philippinen entwickelt sich ein ökologisch ausgewogener Mischanbau mit traditionellem Saatgut zur Alternative zum Hybridreis, der auf große Mengen Dünger und Pflanzenschutzmittel angewiesen ist. Der Abholzung des Regenwaldes in Malaysia standen das Holzeinschlagsverbot und Dorfgemeinschaften in Thailand gegenüber, die den Wald schützen: Jeder, der etwa einen Baum fällt, muß eine Strafe bezahlen. Mit alternativen Fischfangmethoden gelang es auf den Philippinen, Dynamitfischer von ihrer verhängnisvollen Fangmethode abzubringen. Eines ist allen diesen Projekten gemeinsam: Die Bevölkerung ist nicht Gegenstand einer Politik von oben, sondern selbst handelndes Subjekt.

„Die alte Ost-West-Bipolarität wird durch eine neue Bipolarität ersetzt: in eine Welt, die den Profit zum Ordnungsprinzip erklärt, und eine, die die Menschen in den Mittelpunkt stellt“, sagte die indische Umwelt- und Frauenaktivistin Vandana Shiva. „Geld ist eine Droge“, verkündete der Anstecker an ihrem grünen Gewand. „Während wir hier tagen und die Heimatlosigkeit bekämpfen, machen die Banker der Welt ein paar Kilometer weiter nichts anderes, als genau diese Heimatlosigkeit zu schaffen“, rief sie ihrem Publikum zu. Und eine Frau aus Malaysia fügte hinzu: „Wir bekämpfen die Gewalt der Entwicklung.“

Während die 250 TeilnehmerInnen das Scheitern der offiziellen Entwicklungspolitik immer aufs neue, an immer anderen Beispielen und in immer anderen Sprachen schilderten, wurden allerdings traditionelle Methoden eher unkritisch mystifiziert. Die ersten drei Tage war das Forum verdächtig harmonisch. Selbst als ein US-Amerikaner einen Plan vorstellte, der mittels gigantischer High-Tech-Importe in Thailand Energie einsparen soll, gab es keinen Widerspruch. Für Vandana Shiva lag die Harmonie daran, daß die thailändischen OrganisatorInnen das Forum völlig selbständig organisiert hatten. Die amerikanischen Umweltorganisationen, die sonst in Washington so dominant seien und „deren Arroganz sonst für Konflikte gesorgt hätte“, seien hier nur Gäste.

Die Konflikte, die am letzten Tag ausbrachen, kamen aus der genau entgegengesetzten Richtung: Ausschließlich VertreterInnen von Dritte-Welt-Ländern kritisierten heftig, daß die Thais zu großen Einfluß auf die Formulierung der Abschlußerklärung hatten nehmen wollen. In ihr wird unter anderem eine Demokratisierung bei den Entwicklungsentscheidungen und der Kontrolle von Ressourcen — Zugang zu Wasser etwa — verlangt.

Die starke innenpolitische Ausrichtung hat jedoch dazu geführt, daß das People's Forum in den thailändischen Medien ein sehr positives Echo gefunden hat. Zugleich aber wurde die Schuldenkrise, die andernorts für lange Diskussionen sorgt, völlig an den Rand gedrängt — in Thailand ist die Verschuldung kein Thema. Joan French aus Jamaika war verärgert, daß es sich um „keine wirklich internationale Veranstaltung handelt, sondern nur eine asiatische“. Olori Ronke Akendoju und Bisi Ogunleye von der Landfrauen-Vereinigug Nigerias hingegen waren froh, überhaupt anwesend zu sein. Zwei Tage hätten sie nicht ausreisen dürfen. Bei der Ankunft in Bangkok seien sie aus Schikane acht Stunden am Flughafen festgehalten worden.

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