: Don und sein Hörnchen
■ Zwei Mitternachtskonzerte mit Don Cherry im BKA-Zelt
Es gibt grundsätzlich mindestens zwei Arten, die Welt zu sehen: als statisch festgefügt — wie die Maßzahlen, die wir ihren Erscheinungen beiordnen. Oder als fließend — was zwar nicht allzu gut zum leistungsprinziporientierten westlichen Denken paßt, aber naturgemäßer ist.
Nun ist es jedem ja grundsätzlich freigestellt, ob er sich Glöckchen an die Backe näht und Tofu-Karamellen lutscht und Mantras summt, um das Wesen der Dinge im Fluß zu halten; oder ob er Alkohol trinkt und in Diskotheken rumhüpft und dabei einer der spirituellsten Jazzmusiker in Manitous weiten Jazzgründen ist. Don Cherry (54) sagt, die Kritiker hätten noch gar nicht gemerkt, wieviel Indianisches an seiner Musik sei: Er fühle sich so sehr als Indianer wie als Schwarzer...
Der englische Saxophonist Lol Coxhill, aktives Mitglied der Gemeinschaft freier Improvisation, sagte mal, für ihn könne Freie Musik nicht bedeuten, gezwungen zu sein, jede Spielregel zu mißachten: Freie Musik bedeute vielmehr, daß er die Freiheit habe, alles und so zu spielen, wie er es gern will. Diese Definition von freier Musik würde Don Cherry wahrscheinlich bedenkenlos unterschreiben. Er sagt es so: »Musik soll aus dem Inneren kommen.« Und so bewegt sich Cherry jetzt seit gut 30 Jahren als reisender Pilger durch die Welt der Geographie — und durch die Welt der Musik: zwischen Paris und Indien, zwischen Jazz-Avantgarde und World-Music.
Die Geschichte mit der world music ist vor allem eine spirituelle.Grenzen sind eine Erfindung der Menschen, und zu einem wirklichen Sinn von Welt-Musik gehört, daß man nicht nur Safari-Pop dazurechnet, sondern auch — Funk, Free-Jazz, Vogelstimmen.
Don Cherry macht das jetzt seit zwei Jahrzehnten — Weltmusik erforschen und zusammenzuführen: Jenseits der derzeit modischen und imageträchtigen Erwägungen zum Schlagwort »Multikulturelles Sportfest«. Don Cherry nannte seine letzte Platte Multikulti: Bei dieser Verballhornung dürfte manchem Kulturpolitiker entsetzt der Stöpsel aus dem Ohr fallen...
Seine Eltern hatten einen Jazzclub, und seine Oma eine Seemannspension — mit einem Klavier. Das hat Don Cherrys Weltsicht und Musikgehör geprägt. Anfang der Sechsziger spielte der Trompeter mit fast allen führenden Jazz-Avantgardisten: Coltrane, Sheep, John Tchicai, Pharoah Sanders, Albert Ayler.
Dannließ er sich in Paris nieder, dann in Schweden, arbeitete mit dort ansässigen Südafrika-Exilanten, dann reiste er oft und lange durch Asien und Afrika. Anfang der Sechsziger fiel den Betreuern auf, daß Cherry sich beim Festival in Donaueschingen vorm Spielen stets im Lotussitz zum Meditieren hockte.
Ende der Siebziger blies Don Cherry auch schon mal mit der englischen Punk-Funk-Fusion-Band »Rip, Rip & Panic« oder mit Lou Reed. Mit Reeds Rhythmusgruppe ging er selbst einige Male auf Tournee. Sein Markenzeichen ist übrigens dieses kleine Ding, das aussieht wie eine Kindertrompete, an das jemand echte Ventile geschweißt hat, und das er meist, in bunte Tücher eingewickelt wie das Shillum eines alten Hippies, in seinem Lederrucksack mit sich herumträgt. Diese Taschentrompete ist eine echte Miniaturtrompete.
Don Cherry spielt sie, weil er sich damit besser hören kann: Der Ton, wenn er vorne rauskommt, ist näher an seinem Ohr. Don Cherry muß immerhören. (Don Cherry wäre ein Ohr, wenn dazwischen nicht noch irgendwo Gehirn und Intuition untergebracht wären.) Ansonsten ist an Cherry, körperlich gesehen, nicht soviel dran, und unter diesem Aspekt, meint er, sei die Taschentrompete auch ganz sinnreich, denn für eine Taschentrompete braucht man nicht soviel Luft. (Sein Instrument soll in den Dreißigern ursprünglich einem Musiker der Josephine-Baker-Revue gehört haben — und anschließend dem französischen Dichter Boris Vian: ein Instrument voller Spirits...)
Don Cherry hat keinen Stil, den er spielt: Er spielt einfach. Darum sollten all die, die Don Cherry von seinen Jazzauftritten mit Charlie Haden und Konsorten in Erinnerung haben, ebenso jene, die ihn mit seinen Meditationsfreunden Vasconcelos, Ward und dem inzwischen toten Colin Walcott in Erinnerung haben, mit Vorsicht an die beiden kommenden Konzerte rangehen: Heute und morgend abend ist im BKA-Zelt Multikulti angesagt, das ist ein Trio (dabei der aktuell aufsehenerregende Ethno-Jazz- Funk-Bigband-Leader Peter Apfelbaum) — und Don und sein Hörnchen. Die Musik springt, läuft und fließt hin und her zwischen ethnischen Klängen und Jazzimprovisationen. No beginnings — no endings« singt Don Cherry, wenn er mit seiner Multikulti-Band spielt: Dann hat er vor sich noch ein ganzes Arsenal merkwürdiger Schlaginstrumente, afrikanische Kürbisharfe und dergleichen mehr...
Das Wesen der Dinge ist fließend: der Stil von Don Cherrys Musik auch. Laf Überland
Heute und morgen im BKA-Zelt an der Philharmonie um Mitternacht
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