: Naturschützer auf den Spuren Don Quichotes
An der deutschen Nordseeküste geraten Umwelt- und Naturschützer aneinander/ Nach kurzer Euphorie werden die Windmüller in ihrem Eifer gebremst/ Eigenheimbesitzerin fühlt sich gestört: „Erst das Atomkraftwerk, dann Bayer und nun die Windparks“ ■ Von Gerd Rosenkranz
Hinrich Kruse trägt's mit Humor. Wie auf dem Oktoberfest fühlt sich der Bürgermeister der Gemeinde Kaiser-Wilhelm-Koog, wenn er dem „Windpark-Westküste“ im Landkreis Dithmarschen einen Besuch abstattet. Kürzlich wurde dort ein hochmodernes Windrad eingeweiht, an dessen „Abspannseilen“ die Naturschutzbehörden nachträglich hunderte bunter Fähnchen anbringen ließen — zur Warnung anfliegender Vögel. 6.000 D-Mark hat der Spaß gekostet. Nun wartet Kruse darauf, daß der regionale Stromversorger Schleswag bei seinen Stromtrassen „übermorgen nachzieht“. Denn das, meint der Mann, „wäre doch ein schöner Beitrag für das Landschaftsbild.“ In Wirklichkeit verstehen die Pioniere der Windenergie die Welt nicht mehr. Wo immer sie ihre schlanken Kleinkraftwerke aufstellen wollen, müssen sie damit rechnen, daß ihnen die Behörden Knüppel zwischen die Propeller werfen. Aus Gründen des Natur- und Landschaftsschutzes.
Gesuche für Windräder liegen auf der Halde
Dabei deuteten noch vor Jahresfrist alle Zeichen auf Durchbruch für den erneuerbaren und klimaneutralen Energieträger. Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber (CDU) stockte sein Windenergieförderprogramm von 100 auf 250 Megawatt auf und der Bundestag katapultierte die Windkraft — gegen den wütenden Widerspruch der etablierten Stromwirtschaft — mit dem sogenannten „Stromeinspeisegesetz“ im Handstreich in die Wirtschaftlichkeit. 16,6 Pfennig müssen die großen Elektrizitätsunternehmen seither für jede Kilowattstunde Strom berappen, die ihnen die Windmüller in ihre Netze füttern. Ein Hauch von Goldgräberstimmung machte sich breit unter den alternativen Kleinkraftwerksbetreibern — und unter der chronisch finanzschwachen Bauernschaft im Norden der Republik.
Unisono charakterisieren die zuständigen Genehmigungsbehörden von Bund, Küstenländern und -kreisen inzwischen als „mittlere Sturmflut“, was als Folge des Bonner Doppelentscheids über sie hereinbrach: In der für die Antragsabwicklung des 250-Megawatt-Programms zuständigen Forschungsanlage Jülich stapeln sich weit über 4.000 Anträge mit einem Leistungsvolumen von insgesamt 600 (!) Megawatt. Allein im Kieler Energieministerium, das eine ergänzende Landeshilfe zur „Verbesserung der Wirtschaftlichkeit“ beisteuert, liegen Gesuche für etwa 1.300 Windmühlen auf Halde. Da scheint es nicht ganz zufällig, daß die Genehmigungsbehörden just in diesem Moment entdecken, daß Umweltschutz — zum Beispiel durch die Förderung erneuerbare Energien — und lokaler Natur- und Landschaftsschutz nicht immer ganz zwanglos ineinander greifen. Jahrzehntelang hatte die Bürokratie es zugelassen, daß das knappe Gut Natur mit Betonpisten versiegelt oder mit Strommasten verunstaltet wurde. Und noch in diesem Jahr wuchs nahe Cuxhaven ein 271 Meter hoher Fernsehturm ohne weitere Auflagen in den Himmel über der Nordsee. Die unteren Landschaftsschutzbehörden, klagt der Atomkraftgegner Carsten Hinrichsen aus Brokdorf, seien in der Vergangenheit mit ihrem Widerstand gegen den Raubbau an der Natur stets kalt lächelnd abgeblockt worden. Jetzt plötzlich, wo es um die Windenergie gehe, würden sie „für dieselben Argumente gelobt und gehätschelt“.
Die Stimmung gegenüber den Behörden ist agressiv, die Windfreunde haben den Eindruck, daß da Leute an den politischen und bürokratischen Schalthebeln sitzen, die — aus welchen Gründen auch immer — die schlanken Spargel mit den rotierenden Propellern möglichst klein halten wollen. Da angesichts der globalen Klimaänderungen heute kein Politiker mehr offen gegen die kohlendioxydfreie Windenergie zu Felde ziehen könne, werde eben der Naturschutz vorgeschoben. Daß der Verdacht nicht ganz aus der Luft gegriffen ist, berichtete kürzlich aus eigener Erfahrung der Geschäftsführer des „Windenergieparks Westküste“ am Kaiser-Wilhelm-Koog, Bernhard Richter. In einem kommunalen Bauamt habe ihm der für ein bestimmtes Windkraftprojekt zuständige Beamte frohgemut mitgeteilt, er habe sich „volle vierzehn Tage den Kopf zerbrochen, wie ich diese Anlage mit Naturschutzargumenten ablehnen kann“. Und Frank Haamann, ein Arzt der im Vorstand der „Deutschen Gesellschaft für Windenergie“ für seine Lieblingsenergie streitet, erinnert daran, daß überall im Lande Kreisdirektoren und Landräte in den Aufsichtsgremien der großen Stromversorger lukrative Nebenjobs bekleiden. Daß die vormaligen Elektrizitätsmonopolisten der windigen Konkurrenz ausgesprochen skeptisch gegenüberstehen, ist kein Geheimnis.
Weniger tote Vögel als angenommen
Seit einem Jahr haben es verkappte Windenergiegegner leichter, ihre Antipathie gegen den umweltfreundlich produzierten Strom hinter Naturschutzargumenten zu verstecken. Damals erschien eine vom Bundesforschungsministerium initiierte Biologisch-ökologische Begleituntersuchung zum Bau und Betrieb von Windkraftanlagen, durchgeführt und herausgegeben vom Direktor der Norddeutschen Naturschutzakamdemie, Gottfried Vauk. Die 124 Seiten starke Broschüre wird den Windenergieinteressenten inzwischen landauf, landab als schlagendes Ablehnungsargument um die Ohren gehauen. Insbesondere die unter der (zufällig?) mißverständlichen Überschrift Richtlinien zum Aufstellen von Windkraftanlagen unterbreiteten „Vorschläge“ — um mehr handelt es sich nicht — am Ende der Studie bringen die Windfreaks auf die Palme: Danach sollen nämlich nicht nur Naturschutzgebiete, Wattengebiete und Halligen als Standorte für Windräder ausgeschlossen werden. Sie sollen sich vielmehr auch dort nicht drehen, wo die Brise normalerweise am kräftigsten bläst — direkt hinterm Deich. Abstände von 500 Metern verlangen Vauk und seine Mitarbeiter, außerdem Distanzen von einem Kilometer zwischen zwei Windrädern und von fünf Kilometern zwischen zwei „Windparks“. Außerdem sollen die Windmüller erhebliche Wiedergutmachung — im Behördenjargon: „Ausgleichsmaßnahmen“ — für ihren Eingriff in die Natur leisten. Nach Überzeugung der Windenergiefreunde lassen sich die restriktiven Vorschläge aus der Vauk-Untersuchung selbst in keiner Weise ableiten. Tatsächlich fanden die Naturschützer heraus, daß sich beispielsweise die Vogelwelt von den rotierenden Flügeln kaum beeindrucken läßt. Nur 32 „Vogelschlagopfer“ fanden Vauks Mitarbeiter zwischen 1989 und 1990 im Umfeld von neun untersuchten Windkraftanlagen. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum umfaßte der von den Biologen allein im Schatten des Sylter Funkmasts „Puan Klent“ vorgefundene Vogelfriedhof 418 Tierkadaver, darunter zahlreiche, die auf den „Roten Listen“ für vom Aussterben bedrohte Arten auftauchen.
Naturschutz muß Kompromisse eingehen
Spätestens seit Ende September liegen die Freunde der Windkraft auch mit dem Kieler Umweltminister überquer. In einem neuen Erlaß aus dem Hause Berndt Heydemanns engen nicht nur fragwürdige Abstandsregelungen — etwa von Autobahnen (!), Straßen und Richtfunkstrecken der Post — die möglichen Standorte ein, sondern es werden auch „Ausgleichsmaßnahmen“ mindestens für Windparks eingefordert. Das sei „kleinlich und absurd“ schimpfte etwa anläßlich der Husumer Windenergietage 1991 ein Kleinkraftwerkbetreiber. Schließlich würden seine beiden Rotoren Jahr für Jahr weit über 1.000 Tonnen Kohlendioxyd aus der Braunkohleverfeuerung einsparen. Damit sei genug ausgeglichen.
Doch so einfach ist es auch wieder nicht: Denn während die Windenergiebetreiber berichten, daß nach einer Umfrage weit über 90 Prozent der Touristen an der Küste ohne Wenn und Aber hinter den eleganten Windmühlen stehen, macht sich in der einheimischen Bevölkerung die Sorge vor einem „Wildwuchs“ vor der eigenen Haustür breit. Wie sehr dabei die Maßstäbe verloren gehen können, bewies kürzlich eine Rechtsanwältin aus einem Ort unweit von Brokdorf: „Erst das Atomkraftwerk“, schimpfte die um den Marktwert ihres Eigenheims besorgte Juristin in der Lokalpostille, „dann Bayer und nun die Windparks.“
Othmar Heise, im Hauptberuf Leiter der Energie- und Industrietechnik bei MBB und ansonsten aktiv im „Forum für Zukunftsenergien“, einem vom Bonner Wirtschaftsministerium ins Leben gerufenen Zirkel von Energiefachleuten, hält die neue Windkraftdebatte für den eher harmlosen „Anfang eines langen Prozesses“. Wenn die Bundesregierung nämlich ihre Beschlüsse zur Klimaentlastung — minus 25 bis 30 Prozent Kohlendioxyd bis 2005 — wirklich ernst nehme, „dann müssen wir alle möglichen Standorte für erneuerbare Energien in der Bundesrepublik nutzen“, mahnt Heise. Und: Wer in nur 14 Jahren einen weitgehenden „Wechsel der Schlüsselenergieträger“ anstrebe, der müsse auch beim Naturschutz Kompromisse eingehen. Das findet im übrigen auch Hinrich Kruse, der an die Fähnchen im Windpark denkt und nicht verstehen kann, „warum unsere Seile anders behandelt werden als anderer Leute Seile“.
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