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Taz-Forum Jugoslawien: Umsiedlung als Krisenlösung?

■ Die ethnische Homogenisierung ist unabwendbar, behaupten je ein Referent aus Serbien und Kroatien/ Imsirovic: Kein Krieg der Völker

Berlin (taz) — Eine politische Lösung des Krieges in Jugoslawien ist nicht in Sicht. Diese bestürzende Erkenntnis kristallisierte sich gegen Ende des taz-Forums am vergangenen Mittwochabend heraus, das im Haus der Kulturen der Welt vor rund 200 Interessierten stattfand. Die Organisatoren, Erich Rathfelder und Christian Semler, beide Osteuropa- Redakteure bei der taz, hatten sich darauf beschränkt, nur Vertreter aus Serbien und Kroatien einzuladen. Die Teilnehmer diskutierten über die Chancen für einen Frieden und wie die Europäische Gemeinschaft und die UNO reagieren könnten. Zoran Djindjic, Vizevorsitzender der Demokratischen Partei in Serbien, sorgte zu Beginn für den Knalleffekt, indem er sagte, daß heute realistischerweise die Homogenisierung der jugoslawischen Völker akzeptiert werden müsse. „Die verfeindeten Gruppen müssen getrennt und die Minderheiten umgesiedelt werden“, sagte Djindjic. Persönlich sei er zwar gegen die Homogenisierungspolitik, sehe aber keinen anderen Ausweg, um den Konflikt zu lösen. „Wir müssen den politischen Prozeß zu Ende denken, also die verfeindeten Gruppen trennen und die Minderheiten austauschen, wenn sie dies wollen“, erklärte Djindjic.

Damit wurde der Diskussion die entscheidende Richtung gegeben. Überraschenderweise stimmte der kroatische Professor und Politikberater Zarko Puhovski diesem Gedanken zu und erkannte diese Realität als gegeben an, ohne jedoch die damit verbundenen Resultate zu unterstützen. „Die Homogenisierung wird sich katastrophal auswirken, denn sie wird eine Entindividualisierung zur Folge haben“, warnte Puhovski. Der Zagreber Professor bezweifelte sogar, daß im ehemaligen Jugoslawien Friedensgespräche möglich seien, denn selbst die Einhaltung eines Waffenstillstandes sei für die streitenden Parteien schon zu schwierig. Er forderte eine radikale Entmilitarisierung, ohne jedoch angeben zu können, wie diese erfolgen könnte. Für den aus der serbischen Minderheit in Kroatien stammenden Journalist Zivkovic gab es noch vor Jahren Chancen einer Kantonalisierung Jugoslawiens nach Schweizer Vorbild, um den Krieg zu vermeiden, heute jedoch würde dieser Vorschlag von keiner Seite mehr angenommen.

Die Publizistin Dunja Melcic sieht im Moment keine Möglichkeit für eine umfassende Friedensregelung, hofft aber auf ein Waffenstillstandsabkommen. „Die Ursache des Konfliktes liegt darin begründet, daß beide Seiten denken, daß sie den Krieg gewinnen können“, sagte die Publizistin. Für sie kann die Autonomieregelung nach den Grenzen von 1974 eine Lösung sein.

Pavlusko Imsirovic, Altdissident und Mitbegründer der Friedensbewegung in Belgrad, meinte, daß unter allen Umständen die Bundesarmee gestoppt werden müsse. Denn Krieg finde nicht zwischen den Völkern statt, sondern sei von der stalinistischen Koalition, Milosevic und der Bundesarmee, gegen das jugoslawische Volk, das den schmutzigen Krieg nicht wolle, initiiert.

Könnte die Kraft zur Beendigung des Krieges aber von außen kommen? Alle Diskussionsteilnehmer lehnten eine Intervention ab. Puhovski machte sich über die Rolle der EG- Beobachter lustig. „Sie kommen, wenn es nicht nötig oder schon zu spät ist“, so Puhovski. Außerdem trauten sie sich nicht in die Kampfgebiete. 5.000 EG-Beobachter müßten jetzt nach Bosnien-Herzegowina geschickt werden, weil dort der Krieg bevorstehe und das Schlimmste dadurch vielleicht noch verhindert werden könnte. „Eine wirksame Wirtschaftsblockade der EG ist das einzige Mittel, um Druck auf Jugoslawien auszuüben“, sagte Zoran Djindjic. Letztendlich blieben alle Diskutierenden bei der entscheidenden Frage ratlos, wie der Krieg gestoppt werden könnte.

Susanne Landwehr

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