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Spielraum für Palästinenser

■ Bakers Zusagen an Israel lesen sich wie ein Anti-PLO-Papier — der Palästinenservertretung wird in Wirklichkeit aber eine gewichtiges Wort bei den Verhandlungen eingeräumt

Zusicherungen an die Adresse der betroffenen Parteien im Nahen Osten, wie US-Außenminister James Baker sie derzeit veteilt, haben in dieser Region Geschichte. Es ist letzendlich den russischen Bolschewisten zu verdanken, daß die widersprüchlichen Verpflichtungen aus der Endphase des ersten Weltkrieges bekannt wurden. Sie veröffentlichten die Geheimdokumente des zaristischen Hofes, aus denen deutlich wurde, daß die Balflour-Erklärung von 1916, die den Juden in Palästina eine „nationale Heimstätte“ versprach, in eklatantem Widerspruch zum Sykes-Picot-Abkommen zwischen Großbritannien und Frankreich stand. Mit letzterem Abkommen sollte Palästina einer internationalen Verwaltung unterstellt werden. Die Folgen dieser Politik sind bekannt.

Auch für die schriftlichen Zusagen, die Baker im Vorfeld der geplanten Nahost-Friedenskonferenz mit den betroffenen Regierungen und den Palästinensern ausgearbeitet hat, wird die Stunde der Wahrheit erst noch kommen. Es wird sich erst erweisen müssen, ob sie widersprüchliche Aussagen enthalten, die zu weiteren Problemen führen werden. Nach der Veröffentlichung des Verständnisprotokolls („memorandum of understanding“) durch den israelischen Außenminister David Levy kann man davon ausgehen, daß Baker nicht in die Falle seiner britischen Vorgänger getappt ist: Die Formulierungen, auf die sich beide Seiten in diesem Papier geeinigt haben, lassen durchaus noch Verhandlungsspielraum zu, gerade auch für die palästinensische Seite.

Auf den ersten Blick liest sich das Papier wie ein reines Anti-PLO- Werk, da es weitgehende Konzessionen an die israelische Seite enthält. So ist zum Beispiel von dem Prinzip „Land gegen Frieden“, das US-Präsident George Bush in seiner Nachkriegsansprache an die Nation zur Grundlage eines israelisch-arabischen Friedensprozesses machte, gar nicht erst die Rede.

Auch die UN-Resolutionen 242 und 338, deren Einhaltung Bush in jener Rede von Israel gefordert hatte, finden nur in sehr verwässerter Form Eingang in das Verständnisprotokoll. Israelischen Interpretationen sind Tür und Tor geöffnet, und diese besagen, daß es bei den Resolutionen nicht um einen vollständigen Rückzug aus den 1967 eroberten Gebieten einschließlich Ostjerusalems geht. Es dürfte dieser Punkt gewesen sein, der Levy veranlaßt hat, das Verständnisprotokoll zu veröffentlichen. Damit ist klargestellt, daß die USA Israel in dieser innenpolitisch sensiblen Frage nicht unter Druck setzen werden.

Raum für künftige Kompromisse

Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß Baker die Tür gegenüber den Palästinensern keineswegs endgültig zugeschlagen hat. So heißt es beispielsweise, daß die USA die Bildung eines unabhängigen Palästinenserstaates nicht unterstützen. Hier konnte sich die israelische Regierung mit ihrer Forderung, den „Widerstand“ der USA gegen einen solchen Staat zu fixieren, nicht durchsetzen. Und: Die USA sprechen sich nicht gegen das Recht der Palästinenser auf politische Selbstbestimmung aus — eine Formulierung, die in dem Papier nicht auftaucht. Raum für künftige Kompromisse also, ohne daß die US-Administration wortbrüchig wird.

Was die PLO und die Forderungen der Palästinenser anbelangt, so schreibt das Protokoll die bekannten israelischen Positionen fest: Israel kann nicht zu Gesprächen mit der PLO gezwungen werden; die palästinensischen Delegierten müssen aus den besetzten Gebieten minus Ostjerusalem stammen. Damit soll die israelische Sichtweise festgeschrieben werden, wonach der Konflikt nicht zwischen dem jüdischen Staat und der PLO als Repräsentantin aller Palästinenser (also auch der im Exil) besteht, sondern zwischen Israel und der Bevölkerung in den besetzten Gebieten.

Nun ist es aber ein offenes Geheimnis, daß die PLO offiziell von den Verhandlungen ausgeschlossen ist, de facto aber durchaus ein gewichtiges Wort mitzureden hat. Das wissen alle Beteiligten, auch wenn es nicht an die große Glocke gehängt wird. So tagt beispielsweise seit Mittwoch abend der PLO-Zentralrat in Tunis, um die über die Ergebnisse der Gespräche Bakers mit der Husseini-Delegation in Jerusalem abschließend zu befinden. Und schließlich wollen die Palästinenser ihrer Delegation eine Beratergruppe zur Seite stellen, die hinter den Kulissen für die Koordination mit der PLO- Führung in Tunis sorgt.

Der Spielraum der Palästinenser besteht im Ausloten der Bedingungen für konkrete, realistische Schritte, und nicht auf der Ebene des Durchsetzens hehrer politischer Prinzipien. Für die unmittelbare Zukunft können sich die Bewohner der besetzten Gebiete lediglich eine Autonomie-Regelung und einen israelischen Teilabzug erhoffen. In dieser Phase, die auf einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren angesetzt ist, sollen Wahlen und Gespräche über eine endgültige Regelung stattfinden. Für die Regierung Shamir allerdings stellt die Autonomie bereits die endgültige Regelung dar. Nicht auszuschließen ist, daß im Rahmen der Verhandlungen, die sich möglicherweise über Jahre hinziehen, eine Dynamik entwickelt, die auch andere Lösungen ermöglicht.

Das in dem Verständnisprotokoll festgehaltene Hauptziel des Friedensprozesses berührt denn auch gar nicht erst den israelisch-palästinensischen Konflikt. Vielmehr geht es um ein Friedensabkommen und gegenseitige diplomatische Anerkennung zwischen Israel und den arabischen Nachbarstaaten. Nach über vierzig Jahren Kriegszustand wäre dies bereits ein historisches Ergebnis.

Diese Herangehensweise schlägt sich auch in der Planung der Konferenz nieder, die eher ein Prozeß denn ein Ereignis ist. Hauptthema werden die Beziehungen Israels zu seinen Nachbarstaaten sein. Nach einer zweitägigen Eröffnungsrunde unter Beteiligung der USA und der Sowjetunion sind bilaterale Gespräche angesetzt. Wann und wo diese stattfinden werden, ist noch offen. In einem dritten Schritt soll dann eine Regionalkonferenz stattfinden, an der auch Saudi-Arabien und die Golfstaaten teilnehmen sollen. Dabei, so die Planung, wird es um Fragen der regionalen Zusammenarbeit gehen.

Trotz dieser Rahmenbedingungen, in die grundlegende palästinensische Forderungen keinen Eingang gefunden haben, gibt es auch seitens der PLO Stimmen wie die ihres Vertreters in Frankreich, Ibrahim Souss, die Baker zugestehen, daß er der erste amerikanische Außenminister ist, der dem Nahost-Konflikt ernstlich ein Ende setzen will. In einem Interview brachte der zuversichtliche Souss gestern die Situation nüchtern auf den Punkt: „Niemand ist heute in der Lage, sich den Amerikanern zu widersetzen.“ Das gilt auch für die PLO. Nun geht es darum, aus dieser Lage das Beste zu machen. Beate Seel

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