piwik no script img

Blau gestrichenes Leben

■ Ivan Stanev wirbt für ein Gastspiel im Hebbel-Theater mit einem dämlichen Flugblatt/ »Mollig gewordener Geist, stotternde Stimme, trockenes Auge«

Seit ein, zwei Wochen liegt oder hängt es überall herum, wo Theater-Interessierte vermutet werden: »Ein Flugblatt des Theaters der Behinderten«, geschrieben vom Autor, Bühnenbildner und Regisseur Ivan Stanev zum Gastspiel seiner Produktion Hermaphroditus und Schuld und Bühne im Hebbel-Theater (ab 25.10.). In Wahrheit hat Stanevs Theater nichts mit Behinderten zu tun; er nennt es nur so, weil seine Schauspieler »mit stotternder Stimme, trockenem Auge und altmodischer Seele auf der Seite der Erniedrigten und Beleidigten und gegen die sanierte Welt« stehen. Über die für Schauspieler etwas gewagte Metapher mit der »stotternden Stimme« mag man ja noch hinwegsehen — aber auf der Rückseite der Ankündigung, im erwähnten »Flugblatt«, kommt's dann knüppeldick: »Eine Neue Bürgerlichkeit hat alle Stockwerke des Kulturhauses besetzt und verwaltet vom Penthouse her den mollig gewordenen Geist und das blau gestrichene Leben.«

Zu Beginn fragt man sich noch, wann denn wohl diese Besetzung stattgefunden haben soll, ob nicht vielmehr die Bürgerlichkeit schon das eine oder andere Jahrhundert im »Kulturhaus« das Sagen hatte (und das meiste zum Segen der Kunst), welcher Tatsache der Geist wohl seine Molligkeit verdankt und wer das Leben blau gestrichen hat — aber das Fragen vergeht einem ziemlich schnell bei Ivan Stanev. »Mit einem stillen Putsch hat die reiche Mittelschicht der Restauration auf den Thron verholfen... In der sozialen Marktwirtschaft ist aber die reiche Mittelschicht das ganze Volk« — das wird das Volk aber gern hören! »Stiller Putsch«, »Restauration auf den Thron verholfen« — das hört sich schön cholerisch an, bleibt im Ungefähren und tut daher niemandem weh. Gänzlich dunkel wird es, wenn Stanev im Politischen dilettiert: »Wer muttersprachlich denkt, dient Schulter an Schulter mit Vater und Großvater der nationalsozialistischen Propaganda« — ist das nun bewußte Dummheit zu Provokationszwecken? Ist Denken nicht immer muttersprachlich? Und was um Himmels willen hat das mit Nationalsozialismus zu tun? Stanevs Antwort, ein paar Zeilen tiefer, ist ähnlich apodiktischer Käse: »Rechtsradikaler als jede rechtsradikale Partei ist die Kulturindustrie und die ihr unterstellten Massenmedien.« Sind sollte es da wohl heißen; aber egal: So sind wir! Rechtsradikal!

Gegen Ende seines dümmlichen Pamphlets zeigt Stanev noch einmal sein größtes Problem: Er kann die Metaphern nicht halten. »Das Theater der Behinderten ... zittert mit kaltem Schweiß und verflucht seine Mißgeburt. Gelähmt von der Vergangenheit der Armut ist es zu langsam für die Zukunft der Sparkassen.« Daß der Reißwolf die Hoffnung des Dichters sei, wie Stanev abschließend deliriert, wird im vorliegenden Fall schon richtig sein. Wir sind in Maßen neugierig, ob das »Theater der Behinderten« genauso beknackt ist wie sein Flugblatt. Klaus Nothnagel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen