Jetzt wird an der Siegessäule gerüttelt

■ Die Siegessäule gerät ins Kreuzfeuer/ Grüne und PDS-Abgeordnete plädierten im Abgeordnetenhaus für und gegen ihren Abriß/ 1988 forderte die CDU Moltke-Museum in der Säule

Berlin. Sie ist mit 67 Metern mehr als dreimal so hoch wie das Lenin-Denkmal in Friedrichshain. Trotzdem war sie bisher nicht einmal halb so umstritten: Die Siegessäule im Tiergarten gerät erst jetzt ins Kreuzfeuer der Diskussion. Abriß oder Erhaltung, diese Frage hätte am Donnerstag fast das Abgeordnetenhaus beschäftigt. Kein Witz.

Die PDS-Abgeordneten Wolfgang Girnus und Dieter Klein hatten zusammen mit Fraktionskollegen und einigen Parlamentariern von Bündnis 90/ Grüne zwei Anträge in das Abgeordnetenhaus eingebracht. Für den umstandslosen Abriß der Siegessäule plädierten Girnus und 15 weitere Abgeordnete in dem einen der beiden Anträge. Begründung: »Zweifellos« gehöre das 1873 zur Erinnerung an die preußischen Feldzüge gegen Dänemark, Österreich und Frankreich eingeweihte Monument »zu den politisch belastetsten Denkmalen in Berlin«. Es stehe als »Symbol deutsch-nationaler Großmachtssucht, imperialen Herrschaftanspruches und der Verherrlichung von Militarismus und Krieg«. Mit dem vor allem im Ostteil der Stadt propagierten »Prozeß der demokratischen Erneuerung« sei die Säule jedenfalls »unvereinbar«, resümierte Girnus, übrigens nach eigenem Bekennen ein früherer inoffizieller Mitarbeiter der Stasi.

Das von ihm aufgestellte Sündenregister der Siegessäule ist trotzdem eindrucksvoll. So sei die Säule auch »ein Symbol unsozialen Gebarens deutschen Unternehmertums, weil 1872 10.000 Bauarbeiter von Firmen, die am Bau der Siegessäule beteiligt waren, wegen ihrer sozialen Forderungen von ihren Arbeitgebern ausgesperrt wurden«.

Der Senat jedenfalls werde aufgefordert, »als Zeichen der Wiedergutmachung, europäischen Verbundenheit und Freundschaft den Abriß mit einer feierlichen Zeremonie in Anwesenheit der Staatsoberhäupter Dänemarks, Österreichs, Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland durch die Demontage der Viktoria-Figur einzuleiten«.

Gleich beigeheftet war diesem »Dringlichkeitsantrag« allerdings ein Gegenantrag, unterzeichnet von 17 Abgeordneten. Trotz der Tatsache, daß die Siegessäule ein »politisch belastetes Denkmal« sei, gehöre sie »in ihrer Ganzheit zur Geschichte des deutschen Volkes«, mahnten die Unterzeichner, zu denen auch der grüne Oberrealo Bernd Köppl gehörte. Seine ganz persönliche Begründung: Auch als »Phallussymbol« und »Ausdruck von Männlichkeit im Stadtbild« müsse die Siegessäule auf alle Fälle stehenbleiben.

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Helmut Fechner gelang es mit den Stimmen von CDU und SPD am Donnerstag abend zwar, beide Anträge glatt abbügeln zu lassen. Trotzdem hat die Säulendebatte längst schon auf die anderen Fraktionen übergegriffen. So wünscht sich FDP-Sprecher Olaf Irmscher, daß das Monument wieder an den Platz verpflanzt wird, von dem es die Nazis 1938 zum Großen Stern geschafft hatten. Der Platz der Siegessäule müsse wieder vor dem Reichstag sein, meint Irmscher.

Und fast schon vergessen unter den Abgeordneten ist, daß die CDU- Fraktion noch im Jahr 1988 gefordert hatte, im seit 1939 leerstehenden Sockelgeschoß der Siegessäule ein Museum für den Generalfeldmarschall von Moltke einzurichten, der nicht unwesentlich zu den preußischen Siegen über Österreich und Frankreich beigetragen hatte. Der CDU-Abgeordnete Uwe Lehmann- Brauns hatte seinen Vorstoß damals freilich nicht mit den kriegerischen Leistungen des Generals begründet, sondern damit, daß er 1871 das deutsche Heer »davon abgehalten habe, Paris zu beschießen«. Die Frage, auf welchem Weg Moltke bis vor Paris geraten war, ließ Lehmann-Brauns damals offen. Statt dessen wollte er zum demokratischen Ausgleich auch das Andenken von Helmuth James Graf von Moltke pflegen lassen, der von den Nationalsozialisten hingerichtet worden war. Die Kosten für Investitionen (3,6 Millionen) und Betrieb (4,6 Millionen) des Museums hatte der damalige Kultursenator Volker Hassemer (CDU) bereits berechnet. Das geschichtsbewußte Vorhaben verlief jedoch im Sand. Hassemer wurde zusammen mit dem CDU/FDP-Senat abgewählt und ist heute Stadtentwicklungssenator. Während er in seiner heutigen Eigenschaft den Abriß des Lenin-Monuments aufhob, hatte er das Ziel eines Moltke-Museums in der Siegessäule offenbar nicht energisch genug verfolgt. Es war vermutlich zu witzlos. hmt