piwik no script img

SWEETS FOR MY SWEET

■ Seit 100 Jahren werden bei "Soemods Bolcher" in Kopenhagen Süßigkeiten von hand hergestellt

Seit 100 Jahren werden bei „Soemods Bolcher“ in Kopenhagen Süßigkeiten

von Hand hergestellt

VONKARLANTON&VORORTH

Giftgrün schimmern sie, und blaßrosa. Tiefschwarz, metallic-braun und grellorange. Kissen mit bunten Streifen finden sich darunter, Taler, Schnitze, erstarrte Tropfen, blutrote Röhren mit zartgelbem Mark. Sie haben so klangvolle Namen wie „Sommer Granaten“, „Theater Roks“ und „Store Sucre D'or“. Und sie sind das, was man gemeinhin eine „süße Versuchung“ nennt: Soemods Bolcher. Soemods Bonbons.

Im Hinterhof der Norregade 36, mitten im Zentrum von Kopenhagen, betreibt die Familie Soemod ihre Bonbonfabrik, genauer: ihre Manufaktur, die letzte ihrer Art in Dänemark. Hundert Jahre wird das Unternehmen in diesem Jahr, das Königshaus gratulierte rechtzeitig mit der Ernennung zum „Königlich Dänischen Hoflieferanten“.

In der vierten Generation kochen die Soemods nun schon die süßen Dinger, aus reinem Perlzucker, angeblich nur mit natürlichen Geschmacksstoffen und ohne Konservierungsmittel. Von den Farbstoffen dagegen kommen einige aus dem Labor — so grelle Töne kriegt die Natur nicht hin. Zwischen zwölf und zwanzig Kilo Bonbons am Tag werden hier hergestellt. Vierzig Tonnen pro Jahr. Verkauft werden sie in dem angeschlossenen kleinen Geschäft, das so ganz dem nostalgischen Klischee eines Tante-Emma-Lädchens entspricht: Butzenscheiben, eine rasselnde Registrierkasse, freundliche ältere Damen in weißen Schürzen, Gläser voller Bonbons, Lutscher und Zuckerstangen.

Die Rezepte sind von 1891, auch einige Maschinen und Töpfe stammen von damals. Eiserne Pressen und Walzen sind noch in Gebrauch, verschieden geformte Düsen und Schnecken hängen sorgfältig geordnet an der Wand, verbeulte graue Blechdosen stehen auf Regalen.

In einem Kupferkessel siedet Zucker. Einer der beiden Arbeiter — nennen wir sie Sven und Jens — gießt den flüssigen Inhalt auf den Arbeitstisch. Vier Meter lang ist der, ein Meter breit, mit Blech beschlagen. Die Kanten sind nach oben gebogen, so daß eine flache Wanne entsteht. Die gelbe Masse zerläuft darauf wie Honig. Damit sie sich nicht festsetzt, wird sie an den Rändern mit Spachteln gelöst und nach innen geschlagen, wieder und wieder, bis sie sich zu einem bernsteinfarbenen, immer zäher auseinanderfließenden Block verfestigt.

Mit dem Finger bohrt Sven ein Loch, gießt aus einem Röhrchen etwas Flüssigkeit hinein und knetet die Masse durch. Ein frischer Geruch nach Pfefferminz breitet sich im Raum aus.

Etwas seitlich steht ein Pfosten, ein Haken ragt aus ihm hervor. Über den wirft Jens den elastischen Ballen, zieht ihn lang zu einem dicken Tau, zwirbelt, dreht und drillt ihn um sich selbst, wirft ihn zurück und zieht ihn verdoppelt wieder in die Länge, noch einmal und noch einmal. Erstaunliches passiert: Die amorphe Masse erhält durch diese Bearbeitung allmählich eine seidige Struktur, ein elfenbeinfarbener Strang entsteht.

Wieder wird der auf dem Tisch zu einem flachen Block geknetet. Sven breitet einen Klumpen einer bräunlichen Masse darauf aus — Schokolade, wie wir gleich merken —, schlägt die Zuckermasse drumherum, dichtet sie an allen Seiten ab und formt daraus eine dicke Rolle.

Die hält er unter einer vorsintflutlichen Höhensonne geschmeidig und weich und zieht sie an dem einen Ende zu einem zwei Zentimeter dünen Wulst aus, den er nach jedem halben Meter mit der Schere abknipst.

Sven hat inzwischen einen der hundertjährigen Apparate auf den Tisch gewuchtet, eine Schneidemaschine mit zirka zwanzig parallel angeordneten runden Scheiben, einem alten Heizkörper nicht unähnlich.

Die Zuckernudel wird oben eingelegt, ein Dreh am Schwungrad und unten purzeln schwarz-weiße Bonbons heraus. Ein Tischfön kühlt sie ab, ein Gehilfe sortiert die Randstücke heraus — wir haben die Geburt von „Choko fyllt med pebermint“ miterlebt.

Und nun dürfen wir kosten. — Ja, sie sind es. Genau die Klumpen sind es, die früher in den Papiertüten zu klebrigem Geröll zusammenpappten. Die man im Mund hin- und herschob, mit der Zunge liebkoste und schließlich, was um der Zahnfüllungen willen nicht sein sollte, krachend zerbiß. Die Art von Bonbons, die man halb aufgelutscht weitergab. Freundschaften besiegelte das und verlieh der Verehrung für die Sandkasten-Liebe erst Gewicht. Es sind die Bonbons, die die Kinder kurz ins Glück entrückten. Und Zahnärzte stets zufrieden schmunzeln ließen.

Doch es sind nicht mehr die Zwei- Pfennig-Bonbons von einst. 150 Gramm „Bolcher“ kosten heute im Lädchen nebenan 19 Kronen, etwa 5,50 Mark, macht pro Stück rund 20 Pfennig. Handarbeit hat auch in Kopenhagen ihren Preis, doch wer ein dänisches Mitbringsel sucht, fragt nicht unbedingt danach.

Die Kinder interessiert das ohnehin nicht weiter. Ihre süßen Träume heißen heute anders: Gummibärchen, Fruchtzwerge, Überraschungseier, Schokoriegel.

Bonbons für Kinder? Ein Kid ißt keine Bonbons mehr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen