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Wechselnde Optik

Die Regie- und Schauspielausbildung geht weiter — das „bat“ in Ost-Berlin  ■ Von Margit Knapp Cazzola

Auch sollt ihr über dem Jetzt das Vorher und Nachher/ Nicht vergessen machen, nicht einmal alles, was/ Außerhalb des Theaters geschieht eben jetzt.“

Über die Nachahmung betitelt Bert Brecht seinen Rat an die Mimen, ihrem Spiel auf der Bühne ein werkimmanentes Gedächtnis und gleichzeitig eine sozial- aktuelle Dimension zu verleihen. Und auf diesen Brecht berufen sich die Studenten des Ostberliner Regieinstituts und Studiotheaters „bat“, auf einen Brecht, der — ganz im Gegensatz zur Behandlung, die ihm in derselben Stadt einige Straßen weiter widerfuhr — lebendig wirkt und wandelbar.

Auch Konstantin Stanislawski gilt dem Regieinstitut nach wie vor als bedeutender Theoretiker. Die moralistischen oder naturalistischen Tendenzen der beiden Meister werden rigoros in den Hintergrund gedrängt, zugunsten von Wagnis und Schwung. Wobei das „bat“ dazu herausfordert, es mit den Maßstäben einer Profi-Bühne zu messen, und auf den paternalistischen Bonus, den die Kritik Studententheatern zuweilen entgegenbringt, gut verzichten kann.

Wie gelingt es der Ostberliner Schauspielschule mit dazugehöriger Bühne wegen ihrer Professionalität und Innovation so verblüffend zu wirken?

Es ist nicht nur das von Brecht geforderte ganzheitliche Spielen, das auf früher und später und diesseits und jenseits der Bühne bezogene Spielen, das dem „bat“ seinen Reiz verleiht. Zum lustbetonten Umgang mit der sozialen Verantwortung von Theater kommt die gute handwerkliche Ausbildung. Das Regieinstitut Studiotheater „bat“ (Berliner Arbeiter- und Studententheater) verdankt seinen Namen Wolf Biermann, der im Jahr 1960 in das Hinterhofkino Roxy einzog, um mit Studenten der Humboldt-Universität dort Theater zu spielen. Es kam jedoch nie dazu, schon das erste Projekt wurde verboten.

1974 wurde das Regieinstitut als ein Teilbereich der „Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch“ gegründet (neben Regie und Schauspiel auch Puppentheater und Pantomime), wobei man die Räume in der Belforter Straße am Prenzlauer Berg und das Signum „bat“ übernahm.

130 Sitzpätze hat das Theater, zwei bis drei neue Inszenierungen werden pro Spielzeit gezeigt. Ob Schillers Die Räuber oder Fassbinders Blut am Hals der Katze — ob DozentInnen oder StudentInnen Regie führen, hier bekommt man kluges und lustvolles Theater zu sehen: Die Turbulenzen, die Komik, die Spannung — alles stimmt.

„Der Wirklichkeitsbezug steht im Zentrum unserer Arbeit, das ist das Credo dieser Schule“, betont der Direktor Peter Schroth. „Deswegen steht bei uns der freiproduzierende Schauspieler im Zentrum, der mit dem Regisseur eine enge Verbindung eingeht. Der zukünftige Regisseur muß vor allem wissen, was der Schauspieler kann, den er ja letzten Endes zur Arbeit stimuliert.“

George Tabori hat uns dieses gelehrt — und wohl nicht zufällig ist sein schauspielerischer Arbeitsstil denn auch im „bat“ sichtlich und spürbar. „Freiproduzierend“, das heißt für Schauspieler und Regie Improvisation, Körpererfahrung, am eigenen Leib zu fühlen, wo welche Aussagen ihre Grenzen und Stärken haben.

Lehre und Studium im Fach Schauspiel haben zum Ziel, den handelnden, erzählenden und gebildeten Schauspieler auszubilden — lautet einer der Grundsätze der Schule.

Auch die RegiestudentInnen bekommen von Anfang an Ausbildungsangebote in schauspielerischer Arbeit sowie im Wechsel dazu in regiemethodischem Handwerk.

„Wir trennen nicht, sondern verwickeln auch die Regiestudenten schon im ersten Jahr in das, was der Schauspieler tut“, meint Peter Schroth. „Wir nehmen sie allerdings sofort wieder zurück und lassen sie begutachten, was der Kollege machte.“

Das ist vielleicht das Geheimnis des „bat“: die „wechselnde Optik“, auf die im Regieinstitut so viel Wert gelegt wird.

Dieses praktische Vorgehen bedingt geschärfte Beobachtung, kommunikative Kompetenz. Im ersten Semester beobachten die StudentInnen das Straßenleben, interpretieren es und versuchen das, was sie gesehen haben, in erste schauspielerische und regieähnliche Übungen umzusetzen. Man setzt auf Improvisations- und Sensibilisierungstraining, auf Bewegungsunterricht. Zur Beobachtung von Alltagsleben gesellt sich auch die Auseinandersetzung mit theoretischen Texten — von der Frankfurter Schule bis zu den französischen Strukturalisten.

Es wird ein interdisziplinäres Studium angeboten, das Theorie und Praxis vereint. „Lernen durch Machen“ ist die Verständigungsformel für die Lehrveranstaltungen in Dramaturgie, Bühnenbild, Theaterwissenschaft, Musik, Bewegung, Philosophie, Sprechen. Sie zielen auf Benutzbarkeit und sind in szenische Arbeiten integriert, indem sie begleiten oder vorbereiten.

Allerdings haben nur wenige das Glück, diese Ausbildung zu genießen. Im letzten Studienjahr wurden von 80 Bewerbern sieben Leute aufgenommen, in diesem Jahr acht. In den ersten beiden Jahren Grundstudium scheiden dann noch manche aus, so daß in den insgesamt vier Studienjahren circa 20 StudentInnen arbeiten.

Eine Eliteschule sei es dennoch keine, meint der Leiter Peter Schroth, vielmehr sieht er die beschränkte Auswahl als Verpflichtung den StudentInnen gegenüber, um ihnen reelle Berufschancen zu bieten. Früher kamen die meisten in DDR-Theatern sofort als Regisseure unter, mußten nicht erst Assistenten spielen wie im Westen. „Unsere Studenten werden ja zu einer Regieausbildung hingeführt, so daß es keinen Grund gibt, wieso sie nach einem sehr intensiven, praxisorientierten Studium noch einmal als Assistenten anfangen sollten.“

Derartiges Selbstverständnis wird natürlich immer schwerer durchzusetzen sein. Die Zukunft des „bat“ jedenfalls ist gesichert, das Regieinstitut Studiotheater „bat“ wurde als Teil der Hochschule dem Wissenschaftsbereich zugeordnet, die vollstaatliche Finanzierung geht weiter. Insofern bedeutete die „Wende“ wenig Änderung für das „bat“. In der ehemaligen DDR war die „Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch“ in der ambivalenten Situation, dem Bildungsministerium und gleichzeitig dem Kulturministerium unterstellt zu sein.

Nun werden StudentInnen aus allen Bundesländern aufgenommen. Zum zweiten Mal beginnen sie gemeinsam ein Studienjahr. Alltag und Mystizismen in beiden Gesellschaftsordnungen können derart in die künstlerische Arbeit eingebracht werden.

„Wir haben nach der sogenannten Wende gesagt, wichtig ist, daß wir die Arbeit verbessern, die Arbeitsintensität erhöhen, um der Depression offensiv begegnen zu können“, meint Peter Schroth. „Man kann nicht einfach über die Leute meckern. Ich kann als Theatermann auch nie sagen — wenn die während der Vorstellung gehen oder sich langweilen —, daß die daran schuld sind. Da muß ich ja dran schuld sein.“

Den Regiestudenten Horst Lonius und Sven Schlötcke geht es vor allem um die Nähe zum Zuschauer, um den Blick in die Zukunft, die Arbeit mit Verunsicherungen. Seit der Wende, meinen sie, herrsche eine artifiziellere Spielart im Land.

Sie waren im Rahmen der Studienform „Leute aus der Praxis“ vor vier Jahren ans „bat“ gekommen. Horst Lonius zog früher als Puppenspieler durch die DDR. Dann durchliefen sie den gängigen Ausbildungsweg: Im ersten Studienjahr bekommen die Regiestudenten auf einer Probebühne des eigenen Theaters die Möglichkeit, mit Schauspielern in zehn bis zwölf Proben eine Szene eines Stücks der Weltliteratur zu proben. In den ersten zwei Jahren gestalten sie vier Szenenstudien, in den zwei Jahren Hauptstudium machen sie zwei Praktikumsinszenierungen an den Theatern.

Horst Lonius und Sven Schlötcke haben in der letzen Spielzeit am „bat“ R.W.Fassbinders erstes Stück Blut am Hals der Katze inszeniert und damit bewiesen, wie revuehaftes und lustvolles Theater doch aufwühlend sein kann.

„Theater hat in jedem Fall eine soziale Verantwortung, aber wenn es stattfindet, sollte es das nicht zeigen. Es muß in den Figuren sein, in den Lebenshaltungen, aber es darf sich nicht plakativ vordrängen. Es geht um Klarheit, gedankliche Klarheit. Das hat mit unserer Idee von politischem Theater zu tun.“

Nun wollen sie in Jena ein eigenes Theater eröffnen.

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