: Verstehen Sie Bahnhof?
■ Performance übers Reisen, Warten und Winken / Stadt-Aktion der GEDOK -Künstlerinnen
Ungewöhnliche Bahnhofsituation voll gewöhnlicher GefühleFoto: Heide Klenke
Samstagabend kurz vor 19 Uhr. In der Bahnhofshalle gehen Frauen hin und her. Sie rufen durch ihre Flüstertüten nicht nach dem Stationsvorsteher. „Bahnhofsträume! Auf Gleis 1!„ heißt ihre Botschaft im vergnügungseifrigen Gewimmel, das sich hin zum und weg vom Freimarkt bewegt. Geschrieben: „Bahnhofs- T-Räume“, eine Peformance der Bremer Künstlerinnen Barbara Baum und Barbara Reinhart und 20 Frauen in gelben Overalls.
Von irgendwo sind Trommeln zu hören, erste Erkenntnisse von Vorübergehenden werden laut: „Das is' 'ne Sekte“, klärt ein Vater seine Familie auf und zieht sie weiter, durch die Halle, Ort des Durchgangs, des Wartens, des Aufbruchs, der Resignation. Also hinauf auf den Bahnsteig 1, zusehen wie die Frauen den Samstagabendverkehr auf Gleis 2 durchkreuzen, einem Ort, wo sich täglich tausend Abschiede, tausend Wiedersehen ereignen, auch während der Performance.
Der Nahverkehrszug auf Gleis 1 fährt ab, der Blick auf die Bühne
Hierbitte den Bahnhof hin
ist freigegeben, Bühnenbild: Deutsche Bundesbahn. Alles ist wie jeden Tag, jede Nacht. Nur heute formieren sich die gelben Zwanzig auf Gleis 2 zu Reisegruppen, zu Grüppchen von Wartenden. Einige funktionieren einen Paketwagen zu einem Reisezug um. Eine hat Zuflucht auf
dem Telefonhäuschen gefunden und schleudert ihre Habe aus dem Koffer. Das Publikum muß schon etwas hin- und hergehen, um dem Spektakel auf dem Bahnsteig gegenüber folgen zu können.
Der Aufsichtsbeamte auf Gleis 1 sieht dem künstlerischen Treiben und dem Publikum lieber cool als ratlos zu. Kuckt er vielleicht doch etwas genauer als sonst durch die große Scheibe unter dem Schild „Aufsicht“? Die Züge fahren wie es im Fahrplan steht, ein Nahverkehrszug aus Oldenburg trifft ein und verlegt das Geschehen für einige Minuten zwischen das Publikum. Ein technischer Angestellter von der Bahn taucht auf und sorgt dafür, daß man von der Bahnsteigkante zurücktritt. Ein Teppich aus Teddystoff wird ausgerollt, Paare von Schuhen daraufgestellt. Dann donnern die eisernen Räder heran, Applaus hebt an und aus dem Zugfenster winkt wieder — eine im gelben Overall.
Die Fahrgäste aus Oldenburg entsteigen den Wagons und fragen sich: „Wassn hier los? Gibt's hier Schuhe umsonst?“. „Das is bestimmt ZDF“ weiß ein anderer und geht weiter. Um 20 Uhr ist der Spuk vorbei. Das Warten auf Bahnsteig 1 und 2 ist wieder alltäglich. juan
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen