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Gesetze machen keine Moral

Gesetze machen keine Moral

Nicht weniger als sechs Gesetzesanträge zur »Reformierung« des Abtreibungsparagraphen sind in den deutschen Bundestag eingebracht worden. Das Chaos ist perfekt: Kaum jemand versteht inzwischen mehr, um was es genau geht. Unübersichtlichkeit als Strategie von Politik, etwas zu verunmöglichen? Tatort — Abort: Bis Ende 1992 soll/ muß der bundesdeutsche Gesetzgeber laut Einigungsvertrag eine Neuregelung des Paragraphen218 StGB beschließen, da sonst die Fristenregelung alter DDR-Form im Beitrittsteil Ostdeutschland weitergilt.

Insbesondere Frauen sind das patriarchale Gewäsch von »Moral« leid. Fest steht, sie müssen seit zwei Jahrzehnten mit der Indikationslösung leben. Mit einer Abtreibungsquote von 13 Prozent in den alten Bundesländern und einer sehr viel höheren Dunkelziffer dazu, mit einer permanent sinkenden Geburten- und einer permanent steigenden Scheidungsrate. Wo bleibt die Antwort hierauf?

Wo sich moralische Wertveränderungen eingestellt haben, wo die Staatsverdrossenheit sogar Staatsanwälte und Richter mit schwindendem Verfolgungsinteresse in Abtreibungsfällen erreicht hat, kommt auch kein Gesetzgeber gegen die »normative Kraft des Faktischen« an. Eine steigende Ignoranz gegen männliche Sanktionsformen signalisiert die Verselbständigung von weiblichen Moralvorstellungen.

76 Prozent der Bevölkerung sind für eine Fristenlösung, elf Prozent für eine Indikationslösung und 13 Prozent wollen eine Abbruchsmöglichkeit von der Lebensgefahr der Mutter abhängig machen. Sind unsere ParlamentarierInnen schon so jenseits von Gut und Böse, daß der sogenannte Zeitgeist und die sogenannte Volksmeinung sie längst überholt haben? Oder befinden sie sich in einem vergleichbar bedenklichen Zustand wie der Memminger Hexenprozeßrichter, der vom Verfahren ausgeschlossen werden mußte, weil er sich selbst der Anstiftung seiner Lebensgefährtin zur Abtreibung schuldig gemacht hatte?

Das Strafrecht ist allemal eine billigere Lösung als jeder der sechs Gesetzesanträge im Parlament. Von Engholm bis Waigl ist Mann sich einig, eine Liberalisierung des Paragraphen218 sei nicht zu finanzieren: mehrere Milliarden für Kindergartenplätze, die kostenlose Vergabe von Verhütungsmitteln, finanzielle Lebenshilfe für Frauen, Erhöhung des höchst fragwürdigen Erziehungsgeldes. Ja, wo kommen wir da hin? Das Geld wird stattdessen dringend benötigt für den Jäger 90, für neue Autobahnen, die Bezahlung zusätzlicher Staatssekretäre und Präsidentenjobs — allesamt Lieblingskinder und Spielzeuge des Männlichkeitswahns. Das Strafrecht wird Frauen schon zeigen, wo es langgeht.

Doch Frauen verfügen über mehr eigene Schleichwege im europäischen Haus, als sich der eindimensionale Männerverstand ausmalt. Es kann nur eine Frage der Zeit sein, bis daß sich der deutsche Abrahamkomplex als muffiger Provinzialismus selbst erledigt hat. Die Frage lautet nicht mehr: für oder gegen Abtreibung. Sondern sie muß lauten, wie in den USA von Frauen längst proklamiert: »Pro Life« (Pro Leben) oder »Pro Choice« (Für das Wahlrecht). Ein moderner Staat sollte dem Wertepluralismus verpflichtet sein und darf Moralvorstellungen daher nicht zwangsverordnen. Wie die Erfahrungen im Dritten Reich eindringlich belegen, machen Gesetze keine Moral, sondern die Moral macht die Gesetze.

Die Rechtsanwältin Anne Klein war Senatorin für Frauen, Jugend und Familie in der rot-grünen Koalition. In der Stadtmitte schreiben BerlinerInnen über die Probleme der Stadt und des Zusammenwachsens der beiden Stadthälften.

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