: Der Blick ins das absolute Nichts
■ Wo das Stadtbild zu wünschen übrig läßt (1): Das »Pilotprojekt« Hochhäuser am Innsbrucker Platz in Schöneberg/ Der diffuse Ort ohne »Aufenthaltsqualität« soll laut Senatsverwaltung bebaut werden
Schöneberg. Der Innsbrucker Platz im Bezirk Schöneberg gehört zu den Plätzen Berlins, die eigentlich keine sind: Er ist ein automobiles Karussell aus der Zeit verkehrseuphorischer Stadtplanung, das 100.000 Mal täglich mit Fliehkraft Blech um sich wirft; in die Hauptstraße, die Wexstraße, nach Friedenau und in Richtung Sachsendamm.
Die wenigen Wohnbauten stehen wie verschreckte Versteinerungen mit weitem Abstand vom Platz, der eigentlich aus zwei Plätzen besteht: südlich und nördlich der aufgeständerten S-Bahnbrücke erscheinen aufgelöste und zerstückelte Räume, die mit unbetretbaren Blumeninseln und leeren Parkbänken in manischer Dichte geschmückt sind — urbane Restposten für Erholungssuchende und der Wahn eines Gartenbeamten zugleich. Natürlich, so war aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zu hören, soll der von »Diffusität und Orientierungslosigkeit« geplagte »Ort ohne Aufenthaltsqualität« bebaut werden; und zwar als »Pilotprojekt« auf der für Dienstleistungsstandorte vorgesehenen breiten Trasse des S-Bahnrings — der Grenzlinie zwischen innerer und äußerer Stadt. Es gab einen Wettbewerb zur Gestaltung dieses Platzes, und es gibt seit Sommer einen Sieger, der dazu gut ist: den Architekten Lothar Eckhard. Den scheren die Zäsuren in der straßenräumlichen Diskontinuität einen Dreck — mit drei wunderbaren Glastürmen allerdings, Reminiszensen an die expressiven Kristallarchitekturen der frühen zwanziger Jahre — er steigert sie geradezu. Die Vorgabe war schließlich so.
Mit den Hochhäusern soll eine »Stadtkrone« eines neuen Zentrums, eine neue Seele am Innsbrucker Platz entstehen. Es ist das alte Jammerlied aus Nostalgie und der Klage um den Verlust der Mitte; nur mit supermodernen Mitteln. Vertikale Stadtplanung soll das verlorene horizontale Gefüge wiederherstellen; eine Idee, die übrigens bei der gesamten Ringstadt vorherrscht. Doch hält die das aus? Das Problem »Innsbrucker Platz«, der »natürlich« bebaut und wieder urbane Bedeutung erhalten muß, liegt in der Verkehrsplanung, sie allein ist Alpha und Omega des Doppelplatzes: Bereits im vorigen Jahrhundert schnitt der S-Bahn-Riegel trennscharf die Schöneberger Mietskasernen von der Carstennschen Vorstadt.
Später bildete die Reformbausiedlung »Ceciliengärten« den Gegenpart zur mobilen Nordseite. Heute sind Autobahnzubringer, die S-Bahnbrücke, gekappte Schneisen und Verkehrsinseln die strukturierenden Momente. Der Platz spiegelt nicht mehr Konzentration und das Gefühl für ruhige Linien. Das bloße Auge findet keine Ruhe in dem Gewirr von Straßen und Trassen, sondern geht ins Nichts.
Statt die Bahntrasse ernstzunehmen, den zugigen Ort unter der Brücke zu bebauen und der Stadt Kanten zu geben, statt Außen und Innen in ein dialektisches Verhältnis zu setzen, die »Naht« in der Stadt sichtbar machen, lösen die Türme die räumliche Diffusität nicht. Sie feiern vielmehr den Verkehr. Rolf R. Lautenschläger
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