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Der große Moment

■ SG Wattenscheid verlor gegen Eintracht Frankfurt 2:4 Die Ballkünstler auf dem Weg zum Fußballmeister

Wattenscheid (taz) — Hier soll eigentlich nur von einem Moment die Rede sein. Von einer kurzen Bewegung, nicht länger als ein Wimpernschlag. Von einem Aufblitzen von Genie, das die Geschichte dieses Fußballnachmittags zusammenfaßt und wahrscheinlich sogar die der gesamten Saison.

Bis zu diesem Moment war das Spiel schon von erschreckender Eindeutigkeit. Eintracht Frankfurt kombinierte federleicht, mal traumhaft sicher, mal verträumt und Wattenscheid schaute überfordert zu. Ohne lästige Dauerbewachung zerlegten Uwe Bein und Andreas Möller, assistiert von Ralf Falkenmayer und Lothar Sippel die Wattenscheider Raumdeckung nach Belieben. Zwei Tore für Eintracht Frankfurt waren schon gefallen, als die 51.Minute anbrach.

Ralf Falkenmayer kam wenige Schritte von der linken Ecke des Strafraums von Wattenscheid 09 entfernt in Ballbesitz. Schnell schob er den Ball weiter in den Rückraum zu Uwe Bein. Ein Querpaß, wieder nur wenige Meter weiter in den Lauf von Andreas Möller. Und dann passierte nicht, was bei allen anderen Bundesligaspielern geschehen wäre. Möller versuchte keinen Torschuß, obwohl er doch in der Mitte der Strafraumgrenze war. Er stoppte den Ball auch nicht, um noch einen Gegenspieler zu umdribbeln oder Ausschau nach einem Mitspieler zu halten. Er blickte nicht einmal auf.

Einfach so und völlig unerklärlich tupfte er den Ball mit dem linken Fuß nur leicht an und veränderte so die Richtung. Und weiter rollte der endlich in den Strafraum, jetzt rechts versetzt, 14, vielleicht 15 Meter vom Tor entfernt. Das Rätsel, warum der Ball dorthin gespielt wurde, war aufgegeben, denn Möller hatte Lothar Sippel überhaupt nicht sehen können, der aus dem Hintergrund heranstürmte, noch zwei Schritte mit dem Ball ging und verwandelte. Aber der Ball hatte nur dorthin kommen dürfen, und Möller hatte es gewußt oder geahnt vielleicht. Und er verwandelte diese Ahnung mit millimetergenauer Präzision in ein Anspiel, wozu in der Bundesliga nur er in der Lage ist.

Allein dieser Moment aus der 51.Minute sagte eigentlich alles über das Spiel, obwohl er nicht spielentscheidend war. Er markierte den Unterschied zwischen Fußball und Ballkunst. Immer wieder mischten sich am Samstag in die normale Geräuschkulisse eines Fußballstadions selten gehörte „Aaahs“ und „Ooohs“. Immer waren die Zaubertricks und Kabinettstücke der Eintracht gemeint.

Wenn auch nicht verschwiegen werden soll, daß es keinesfalls ein großes Spiel war und daß Eintracht Frankfurt nach zwei Gegentoren innerhalb von zwei Minuten zwischendurch den Überblick verlor, so ist doch Grund genug zum Jubel. Wenn die Leistungen der Frankfurter einigermaßen stabil bleiben, darf im Mai nächsten Jahres ein deutscher Fußballmeister gefeiert werden, dessen Fußball so schön und erfolgreich ist, wie zuletzt der von Borussia Mönchengladbach Anfang der siebziger Jahre. Auf dem Weg dorthin wird es bestimmt noch viele große Momente geben. Christoph Biermann

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