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»Tortenkonzept« gegen »Wohlstandswulst«

■ Bei der anstehenden Kreisreform in Brandenburg geht es auch darum, welche Kreise vom Berliner Metropolen-Boom profitieren und ob auch für die ärmeren Gemeinden im Hinterland etwas vom absehbaren Investitionskuchen abfällt

Die anstehende Gebietsreform hat Bewegung in Brandenburgs Kreise gebracht: man sucht und findet, schmäht und trennt sich. Schon im April dieses Jahres hatte Innenminister Alwin Ziel einen eigenen »Schnittmusterbogen« in die Debatte geworfen. Danach sollen die 44 futzligen Kreise zu einem guten Dutzend wohlgeformter Verwaltungseinheiten umgebildet werden. Da sich Brandenburg nun einmal nach dem Vorbild Schleswig-Holsteins für einen zweistufigen Verwaltungsaufbau — den Ministerien als oberster Landesbehörde stehen auf kommunaler Ebene kräftige Landkreise und Ämtergemeinden gegenüber — entschieden hat, muß nun schnell gehandelt werden. Ein Verwaltungsloch kann man sich nicht leisten. Bis zum Sommer nächsten Jahres will der Minister die neuen Kreisstrukturen vom Landtag verabschieden lassen. Interessant ist dabei, was sich um den Moloch Berlin zusammenschiebt.

Ein Wohlstandswulst mit diversen Gewerbeparks, Einkaufszentren und ausufernden Industriestandorten, dahinter beginnt die Wüste — so schaut der aktuelle brandenburgische Alptraum zu diesem Thema aus. Während in Potsdam die neuen Parolen für die Verhandlungen mit Berlin herausgegeben werden, SPD-Fraktionsführer Birthler dem Regierenden Bürgermeister vorwirft, er würde »Geheimverhandlungen« mit den Kreisen im Umland führen, bastelt in Fürstenwalde Landrat Mathias Schubert an einem Gegenmittel. »Tortenkonzept« nennt er es. Das meint ganz einfach nur, daß die acht Berlin-Anrainer unter den Landkreisen Brandenburgs sich nicht untereinander verkuppeln, sondern ihrem jeweiligen Hinterland das Jawort geben sollten. Wie »Tortenstücke« würden sich die neuen Kreise um die Hauptstadt legen. So, meint Schubert, könnten auch schwächere Regionen am Berlin-Boom gewinnen. Große Teile des Landes würden sich dann auf längere Sicht relativ proportional entwickeln können und niemand vom Tellerrand rutschen. Fürstenwalde würde also nicht, wie vom Innenministerium vorgeschlagen, mit Straußberg zusammengehen, sondern das südliche Beeskow an sich binden.

Am Westrand von Berlin verzichtet der Landkreis Potsdam auf den Zusammenschluß mit Nauen — zugunsten von Belzig und Brandenburg. Der Potsdamer Landrat Norbert Glante hofft damit, dem Druck der Investoren zu entgehen. Das Angebot eines großen Autohändlers, innerhalb des Berliner Rings auf 120 Hektar einen Umschlagplatz für seine Ware aufzubauen, hat Glante dankend abgelehnt: »Soviel Beton und Blech passen uns nicht in die Landschaft.« Wer platte Flächen brauche, der könne sich in Zukunft zum Beispiel auf dem verwaisten Truppenübungsplatz Borkheide- Burgwalde tummeln, der bis in den Kreis Belzig hineinreicht und über vorzügliche Anbindungen an Schiene und Autobahn verfügt. Die 40 Kilometer bis Berlin sind da ein Klacks, meint Glante.

Auf wenig Verständnis stieß Landrat Glante mit seinen Vorstellungen von einem harmonischen Kreisgebilde ziemlich unerwartet bei einer kleineren Gruppe von Traditionalisten. Die wettern gegen die Retortenkreise von 1952 — damals wurden in dirigistischer Manier sinnlose Grenzen gezogen — und wollen den alten Großkreis Teltow, der durch die Stein-Hardenbergschen Reformen im Jahre 1815 entstanden ist, wieder zum Leben erwecken. Glante würde dann mit Teltow, Kleinmachnow und Stahnsdorf der schmackhafteste Happen von seinem »Tortenstück« brechen. Dort nämlich befindet sich der lukrativste Industriestandort des Landkreises Potsdam, wohnen insgesamt 30 Prozent seiner Einwohner. Aber Glante kann sich der Rückendeckung aus dem Brandenburgischen Innenministerium sicher sein. Dort ist man sich einig, daß die bestehenden Kreise als Ganzes zusammengelegt und nicht total zerschnitten werden sollen.

Mit »Nostalgikern, die irgendwelche historischen Bindungen ausgraben«, hat man in Fürstenwalde keine Probleme. Landrat Schubert kann sich in Ruhe seinem Vorhaben widmen, durch den Zusammenschluß mit Beeskow so weit wie möglich Landschaft zu erhalten. »Die Wirtschaft ist der Gott, dem wir — möglichst alles — opfern sollen«, beschreibt Mathias Schubert einen »unhaltbaren Zustand«. Die Wirtschaft, philosophiert der Landrat, habe letztlich eine »dienende Funktion«, wenn es um eine »sozial-ökologisch ausgewogene Entwicklung« des Kreises geht. Über die Landkarte gebeugt, gibt er sich voll dem Planungsspiel hin. »In Erkner ist die Chemie, in Rüdersdorf der Zement«, markiert Schubert die »infrastrukturell sinnvollen Standorte«. Allerlei Gewerbe wird an konzentrierten Punkten entlang der Autobahn nach Fankfurt/Oder Platz finden. Der Rest der Landschaft soll die Industrialisierung weitestgehend unbeschadet überstehen. Wo käme man schließlich hin, wenn jedes 300-Seelen-Nest ein eigenes Gewerbegebiet von 60 Hektar ausweisen wollte, obwohl man den potentiellen Investoren gerade mal eine bucklige Dorfstraße als strukturelles Rudiment anbieten könnte. »Dorf soll sich wie Dorf entwickeln«, spricht der Landrat und plädiert für die sanften Touristenströme.

Für Dieter Friese, der im Landkreis Bernau der Chef ist, bleibt die im Tortenkonzept beabsichtigte »Umlenkung« der Investoren in die schwachen Gebiete ein theoretisches Konstrukt. Bernau und Oranienburg, die von Anfang an Partner waren, haben zwar den Kümmerling Gransee mit an ihren Tisch gelassen, aber das ziemlich einzige zukunftsträchtige Bindeglied zwischen ihnen ist die Naherholung. Auch die Probleme sind andere. Während die Bauern in Gransee mit ihrem mageren Böden nie auf einen grünen Zweig kommen, streiten die anderen beiden Kreise mit Berlin um die Müllentsorgung und Abwasserreinigung. Das Wort »Speckgürtel« mag Landrat Friese gar nicht mehr hören. Im Dauerclinch mit der mächtigen Metropole sieht Friese für das Umland die einzige Chance darin, daß Brandenburg und Berlin getrennte Bundesländer bleiben. Ein Beispiel: 6.000 Hektar im Kreis Bernau sind Berliner Stadtgutflächen. Verzweifelt ringt nun Friese um jeden Fußbreit Boden, damit er den Investoren etwas anbieten kann. »Herr Diepgen tut, als ob wir's ihm aus dem Herzen reißen würden.« Der Trumpf in Frieses Hand ist bislang der Klärschlamm, den die Berliner ins Umland »verbringen«. Doch wenn aus einem gemeinsamen, von Berlin dominierten Landtag der letzte Segen käme, müsse man sich ohne Widerrede der höheren Gewalt beugen.

Die Zwitterstellung Berlins als Kommune, die gleichzeitig Land ist, sehen Norbert Glante und Mathias Schubert als größtes Hindernis für die »grenznahe« Zusammenarbeit. Handlungsbedarf für die Kooperation ist zweifellos gegeben. Der Regierende Bürgermeister Diepgen hat nun vorgeschlagen, einen Planungsverband zu gründen, in dem jeder Umlandkreis und Berlin als ganzes je eine Stimme haben. Ob damit aber Interessenkonflikte fair ausgetragen werden, bleibt Glante skeptisch.

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