PRESS-SCHLAG: Schweigen und Hängen
■ „Team Masters“ der Turner blieb ohne Neuigkeiten Nur Andreas Wecker überraschte mit seinem Einzelsieg
Das ist jetzt so und wird wohl noch eine Zeit so bleiben“, antwortete der Mehrkampf-Weltmeister Grigori Misiutin auf die Frage, ob denn die UdSSR „immer vorne“ im Männerturnen sein werde. „Ich möchte da nicht zu weit in die Zukunft blicken“, meinte der blonde Ukrainer, „meine Meinung gilt nur für diese Mannschaft. Aber diese Mannschaft ist wirklich unschlagbar.“ Das wollte auch niemand bezweifeln. Vor dem neudeutsch genannten „Team-Masters“ in München stand nur die Frage, wer der Sowjetunion am nächsten kommt: Vize-Weltmeister China oder die BRD-Turner als Bronzegewinner der Weltmeisterschaft von Indianapolis. Es blieb alles beim alten: Den Drei-Länder-Kampf gewannen die vereinten Vertreter einiger Sowjetrepubliken vor den Chinesen und den bundesdeutschen Athleten.
Dabei gab es bei den sowjetischen Turnern diesmal durchaus Schwächen: Waleri Ljukin, der 1987 als erster Turner einen Dreifach-Salton am Boden zeigte, machte nur ein kleines Sprüngchen und verabschiedete sich sogleich mit einer Fußverletzung. Grigori Misiutin trat erst gar nicht an, weil er sich beim Pferdsprung im Aufwärmtraining den Daumen gebrochen hatte.
Er beobachtete als Zuschauer besonders den Chinesen Jing Li, „weil das ein ausgezeichneter Turner ist, der sich deutlich vom Durchschnitt abhebt.“ Aus der bundesdeutschen Mannschaft achtete der Weltmeister besonders auf Andreas Wecker. Als Grogori Misiutin das ankündigte, konnte er noch nicht wissen, daß ausgerechnet der Berliner den Mannschafts- Wettbewerb in der inoffiziellen Einzelwertung für sich entscheiden konnte. Andreas Wecker ist ein Turner, der für seine Möglichkeiten nie richtig belohnt wurde: Bei der WM 1989 scheiterte er im Ringe-Finale ganz knapp an Andreas Aguilar. Bei der WM 1991 landete er wieder knapp auf dem zweiten Platz hinter dem Mehrkampf-Sieger und späteren Ringe-Weltmeister Misiutin. Ins Reck-Finale ist er gar nicht gekommen, weil Wecker seine Übung nicht einturnen durfte. Ein Fehler des Ordnungspersonals in Indianapolis hatte dies verhindert, der Schmerz darüber saß tief. Voller Entäuschung holte Wecker damals zu einem Rundumschlag gegen Bundestrainer Klaus Milbradt aus. Milbradt hielt dem Angriff seines Musterschülers stand, konnte er doch auch noch einen Reck-Weltmeister namens Ralf Büchner vorweisen.
Andreas Wecker präsentierte sich nun in München schweigsam, aber vor allem konzentriert und turnerisch hervorragend. Er gewann die Einzelwertung vor Weltcupsieger Belenki und Weltmeister Korobtschinski. Dabei war er ganz wieder der kleine, sympathische Berliner, nicht verbissen, eher offen und verspielt. Auch wenn Wecker schweigend in den Ringen hing, mundtot ist er aber noch nicht. Ängsten des Bundestrainers, die nächsten Tage und Wochen wären wegen der begonnenen Olympiavorbereitung besonders „stressig“, trat er entgegen: „Was soll's? Bei uns drüben war das früher doch nicht anders.“ Eine kleine Unvorsichtigkeit, das von den Annexions-Anhängern tabuisierte „Wir drüben“ verwendet zu haben. Doch Wecker korrigierte sich schnell: „Ich sag das jetzt mal ohne hüben und drüben.“ Aber die DDR-Mannschaft habe eben härter trainiert. Andreas Wecker war nicht der einzige, der nicht in einer Friede-Freude-Eierkuchen-Mentalität nach München fuhr. Trainer Milbradt soll der Länderkampf ungelegen gekommen sein, und auch Turnwart Gienger soll davon gesprochen haben, daß der Wettkampf nicht in das Vorbereitungskonzept passe und „sowieso keine neuen Teile“ bei den Turnern zu sehen sein würden. Thomas Schreyer
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