EWR kanalisiert Osteuropas Aufnahmebegehren in die EG

■ Bei dem nach zweijährigen zähen Verhandlungen erzielten Abkommen mit den sieben EFTA-Ländern ging es der EG vor allem darum, den Andrang der osteuropäischen Länder in den reichen...

EWR kanalisiert Osteuropas Aufnahmebegehren in die EG Bei dem nach zweijährigen zähen Verhandlungen erzielten Abkommen mit den sieben EFTA-Ländern ging es der EG vor allem darum, den Andrang der osteuropäischen Länder in den reichen Zwölferklub abzufangen.

Der weltgrößte Wirtschaftsraum aus 19 Ländern mit 375 Millionen Einwohnern ist perfekt. Eigentlich hätte der Vertrag zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bereits am 25. Juni in Salzburg feierlich unterzeichnet werden sollen. Doch das Fest fiel aus, der Vertrag wurde erst gestern im Morgengrauen fertig — in Luxemburg und höchst unfeierlich nach 17stündigen Verhandlungen der zwölf EG- Außenminister und ihrer Kollegen aus den Ländern der Europäischen Freihandelszone (EFTA) — das sind Österreich, die Schweiz, Liechtenstein, Schweden, Norwegen, Finnland und Island.

Damit gelten ab 1. Januar 1993 auch in diesen Ländern die Regeln des EG-Binnenmarktes über den freien Verkehr von Menschen, Waren, Dienstleistungen und Kapital. Das bedeutet, daß es keine Grenzkontrollen mehr geben wird; aber auch, daß die Freiheit des Wettbewerbs nach einheitlichen Regeln gehütet werden soll. Der freie Personenverkehr soll zwar nicht sofort, aber eines Tages zur vollständigen Niederlassungsfreiheit für alle BürgerInnen aller 19 Staaten führen. Für eine Reihe von Regelungen haben die EFTA-Staaten Übergangsfristen zum Schutz der Wirtschaft durchgesetzt, unter anderem für Investitionen oder Alkoholmonopole. 1.500 Gesetze müssen die EFTA-Staaten jetzt an EG-Recht anpassen.

Noch im Juni waren die EWR- Verhandlungen gescheitert, weil Österreich und die Schweiz nicht noch mehr zur Durchgangsstraße für Lastwagen der EG werden und ihrer Bevölkerung nicht noch mehr Lärm und Abgase zumuten wollten. Island wiederum bestand auf dem Schutz seiner Fischgründe vor den großen EG-Fischfangflotten. Daß in diesen Streitpunkten jetzt doch noch Kompromisse gefunden werden konnten (s. Kasten), hat allerdings ebensowenig mit einem gestiegenen Umweltbewußtsein der EG-Außenminister zu tun wie mit einem Umschwenken der EFTA-Unterhändler auf die Ideologie des liberalen Marktes. Der EG ging es vielmehr darum, den Andrang fast aller europäischen Staaten auf Aufnahme in den prosperierenden Zwölferklub zu kanalisieren.

Den ehemals kommunistischen Staaten, allen voran Polen, will aus politisch-moralischen Gründen wohl keines der EG-Länder die Mitgliedschaft verwehren, um so mehr aber aus wirtschaftlichen Gründen: Auch die ärmsten EG-Mitglieder Portugal und Griechenland müßten dann immense Ausgleichszahlungen nach Osteuropa überweisen.

Die EFTA-Staaten wiederum haben im Laufe der zweijährigen Verhandlungen festgestellt, daß sie über den EWR zwar im Binnenmarkt mitwirtschaften, aber keineswegs gleichberechtigt mitentscheiden dürfen. Mit dem Ende der militärischen Ost-West-Konfrontation entfiel für die überwiegend neutralen Länder zudem das wichtigste Hindernis auf dem Weg zur EG-Mitgliedschaft. Konsequenterweise stellten Österreich und Schweden Aufnahmeanträge. Die Schweiz kündigte gestern denselben Schritt an, Norwegen und Finnland werden folgen, so daß den Kleinstaaten Island und Liechtenstein wohl kaum noch eine Alternative bleibt.

Die EFTA-Staaten werteten gestern den EWR-Vertrag als ersten wichtigen Schritt auf dem Weg in die EG. Schweden, so Ministerpräsident Carl Bildt, hoffe nun auf einen Beitritt zum 1. Januar 1995. Eine gemeinsame Sicherheitspolitik sei für Schweden kein Hindernis mehr.

Zeitgewinn

Hindernisse anderer Art wird jedoch die EG sehen. In Bonn sprachen Kanzleramtsminister Rudolf Seiters (CDU) und SPD-Wirtschaftsexperte Wolfgang Roth unisono von einem wichtigen Schritt auf dem Weg zur europäischen Einigung — einschließlich Osteuropas. Politisch ließe sich nämlich die Aufnahme der reichen EFTA-Länder bei gleichzeitiger Abschottung gegenüber den Osteuropäern schlecht verkaufen. Zudem wollen die EG-Außenminister zu allererst mit der Europäischen Politischen Union (EPU) weiterkommen. Ihren Ministerrat, der zur Zeit alle Entscheidungen nur einstimmig treffen kann, wollen sie daher auf keinen Fall vergrößern.

Daß die EG vor allem Zeit für die politische Union gewinnen will, verdeutlichte gestern auch der europapolitische Sprecher der CDU/CSU- Fraktion, Peter Kittelmann. Die Einigung sei „auch ein wichtiges Signal an die EG-Staaten, die Regierungskonferenz in Maastricht Anfang Dezember erfolgreich zu beenden“, sagte er. In Maastricht stehen die Wirtschafts- und Währungsunion sowie die EPU auf der Tagesordnung der EG-Regierungschefs. Erstmals sollen Grundsatzentscheidungen über eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik getroffen und das Straßburger Europaparlament möglicherweise mit Entscheidungskompetenzen ausgestattet werden. Vor dieser schwierigen Arbeit wollte die EG klare Verhältnisse gegenüber den EFTA-Staaten erreichen. Und mit Osteuropa, so Seiters gestern optimistisch, könne man jetzt ja Assoziierungsabkommen abschließen. Donata Riedel