Generationen von Käsespießern

■ Industrie-Design des Bremers Wilhelm Wagenfeld in der Securitas-Galerie / Alltagsgegenstände aus deutschen Haushalten

Mann im Hemd

mit Brille

Wagenfeld bei der Arbeit

Design ist nicht nur etwas für feine Leute mit dicken Brieftaschen. Fast alle Alltagsgegenstände sehen so aus wie sie aussehen, weil ein mehr oder weniger künstlerisch begabter Kopf sich über seine Formgestaltung Gedanken gemacht hat.

Eine Auswahl der Alltagsobjekte des wohl berühmtesten deutschen Industrie-Designers Wilhelm Wagenfeld zeigt zur Zeit die Securitas-Galerie in den Geschäftsräumen der gleichnamigen Bremer Versicherung am Wall 121. Bei der Eröffnung am Dienstag abend drängten sich viele hundert BesucherInnen auf allen Ebenen des weitläufigen Gebäudes.

Die BesucherInnen werden mit Verblüffung feststellen, daß ihnen die meisten Objekte wohlbekannt sind: Da ist das Hotel-Silber des gelernten Silberschmieds, beispielsweise die Milchkännchen, deren Deckel sich mit dem Daumen leicht hochklappen lassen. Da sind die kleinen, in der Mitte zusammengeschnürten Salz- und Pfefferstreuer, die auf einem winzigen bootförmigen Tablettchen stehen. Die WMF-Platten, von denen wir früher gerne Käsespießer pickten und die WMF-Butterdose mit dem Plastikdeckel, der zu Hause schon von Kratzern blind ist (1955-70). Da sind die Obstschälchen mit eckigem Riffelmuster, aus denen wir bei der Oma den Nachtisch schlürften (1935-48) und die Jenaer-Glas- Schüsseln, in denen Mutter den dampfenden Blumenkohl servierte (1931-38). Der Identifiksationslust mit diesem Stück deutscher Kultur sind keine Grenzen gesetzt.

Trotz der millionenfachen Verbreitung der Wagenfeld-Objekte in deutschen Haushalten ist der Name Wagenfeld nur Kennern der Scene bekannt. Denn obwohl sich Wagenfeld als Künstler sah, vermied er Extravaganzen und suchte stets Formen, die wie selbstverständlich wirkten. Dabei fand er weich fließende, organische Lösungen. Die harmonischen Proportionen erhalten Spannung durch winzige Abweichungen. Die Objekte wirkten — zumindestens in der Zeit ihrer Entstehung — elegant. Der Grad der Vertrautheit erschwert das distanzierte Urteil.

Wilhelm Wagenfeld wurde am 15.4.1900 in Bremen geboren. Er absolviert eine Lehre im Zeichenbüro der Bremer Silberwarenfabrik Koch und Bergfeld und geht an die Staatliche Zeichenakademie in Hanau. In Bremen und Worpswede arbeitet er ein Jahr frei an Holzschnitten und Radierungen. 1923 tritt er in das Weimarer Bauhaus ein. Ab 1929 war er Leiter der Metallwerkstatt am Bauhaus. In diesen Jahren entsteht die enge Zusammenarbeit mit der Industrie, unter anderem mit Jenaer Glas, Fürstenberg und Rosenthal. Von 1931 bis 1935 ist er Professor an der Staatlichen Kunsthochschule in Berlin-Grunewald. Wegen seiner Weigerung, in die NSDAP einzutreten, wird Wagenfeld 1944 an die Ostfront geschickt und gerät ein Jahr später in russische Kriegsgefangenschaft. Nach dem Krieg ist er in verschiedenen Hochschulen und Instituten engagiert. 1950 fertigt Wagenfeld die ersten Entwürfe für WMF.

Die Veranstalter haben den Schwerpunkt der Ausstellung nicht auf die Kunst Wagenfelds im engeren Sinne, sondern auf die langlebigen und millionenfach verkauften Produkte gelegt. Die Exponate stammen aus der Sammlung der Bremer Gesellschaft für Produktgestaltung, die die Gründung einer Wagenfeld- Stiftung vorbereitet. Die soll möglichst schon im nächsten Jahr in die nördliche Ostertorwache, gegenüber des Gerhard-Marcks- Hauses, einziehen. bear

In den Räumen der Securitas, Am Wall, bis zum 5. Januar, 8-18 Uhr