: »Da hab' ich das Hakenkreuz durchgestrichen«
■ Der zehnjährige Pierre über die Angst, daß seine griechische Mutter von Skinheads oder Nazis überfallen werden könnte Kinderbande trifft sich am Mauerstreifen, um Plakate für Ausländer zu malen/ »Die Polizei sollte sich mehr bemühen«
Der zehnjährige Pierre geht in die vierte Klasse einer Kreuzberger Grundschule und wohnt mit seinen Eltern in der Nähe des Mariannenplatzes. Seine Mutter, eine Griechin, die an ihrem schwarzen Haar und dunklen Augen als Ausländerin zu erkennen ist, erzählte, daß ihr Sohn in letzter Zeit große Angst um sie hat und manchmal sogar weint, wenn sie abends allein weggeht.
taz: Wovor hast du Angst, wenn deine Mutter allein weggeht?
Pierre: Vor den Skinheads und so. Am Kotti war so eine Demo für die Ausländer. Ich habe erfahren, daß die Skinheads die Leute verscheucht haben. Am nächsten Tag bin ich an der Mauer langgegangen, da lag so ein Schild, »liebe Ausländer, läßt uns Deutsche nicht allein«, da war ich ganz froh. Heute in der Schule, das hat mich sehr enttäuscht, hat einer aus der Schule auf unserem Gehweg ein Hitlerzeichen hingeschrieben und »Ausländer raus«. Ich habe auch Angst, wenn meine Mutter abends ganz spät weggeht, weil die Skinheads, die haben so'n Mann auf der Straße mit sieben oder zehn Messerstichen in den Bauch gestochen. Und da standen Leute, die haben gar nichts gemacht.
Was rätst du deiner Mutter zu tun?
Ich hab' auch keinen Rat. Sie kann doch nicht jeden Tag bei uns zu Hause sitzen bleiben. Das geht ja auch nicht, sie muß ja arbeiten gehen. Die muß sich ja auch mal abends freinehmen und ins Kino gehen. Da kann ich auch nicht viel tun. Aber ich weiß, daß ich Angst hab', und sie weiß das auch. Ich weiß aber auch, daß sie die guten Wege kennt, wo keine Skinheads sind, weil sie schon lange in Berlin ist. Das beruhigt mich ein bißchen.
Sprecht ihr zu Hause viel darüber?
Och, wir haben einmal eine Stunde oder so drüber geredet, aber jetzt nicht mehr so oft.
Und wie ist es in der Schule? Sind die Überfälle auf Ausländer ein Thema?
Nee. Ich hab's unserer Lehrerin schon oft gesagt, aber die sagt immer nein, wir haben jetzt was anderes vor, wir sollen jetzt nicht darüber reden. Das finde ich ganz schön doof.
Habt ihr viele Ausländer in der Klasse?
Bei uns sind viele Türken und zwei Araber.
Sprecht ihr untereinander über die Ausländerfeindlichkeit?
Ja, sehr viel. Wir sagen, daß wir das doof finden. Nach der Schule gehen wir manchmal zu unserem Treffpunkt. Wir haben uns eine kleine Hütte gebaut, an der Mauer. Da gehen wir hin und besprechen das. Wir haben nämlich eine Ausländerbande gegründet. Wir schreiben Plakate und gehen zu einem Freund von mir, der hat einen Kopierer, und da kopieren wir die Blätter und hängen sie überall hin.
Und was steht da drauf?
Nazis raus und so'n Zeug. Die sollen nicht dauernd Ausländer überfallen, laßt die doch endlich mal in Ruhe. Die sind doch genauso welche Menschen wie wir und so.
Wie groß ist die Bande?
Sehr groß. Außer die Türken und die beiden Araber, die machen nicht mit.
Warum nicht?
Erstens, die wollen nicht, und zweitens wollen wir das auch nicht.
Was habt ihr dagegen?
Weil die uns fast alle verkloppen, und das finden wir doof. Wir haben ihnen gesagt, wenn sie aufhören damit, können sie auch ruhig in unserer Bande mit sein. Heute hat mich wieder einer verkloppt, und das finde ich ganz schön doof, weil die auch ganz schön brutal sind.
Trotzdem hast du nichts gegen Ausländer?
Die Ausländer mag ich schon, verstehste? Aber nur manche Kinder halt nicht. Aber die hören jetzt auch langsam auf, uns zu verkloppen. Einer ist jetzt auch schon in unserer Bande drin.
Machen da auch Mädchen mit?
Ja (zählt leise an den Finger ab), genau sind's sieben Mädchen und sieben Jungs, mit mir.
Wollt ihr mit der Bande auch kämpfen?
Nee (lacht), kämpfen wollen wir nicht gegen die, weil, wir wissen selber, daß die Skinheads und Nazis viel stärker sind als wir. Erstens sind die größer, und zweitens, warum sollten wir kämpfen? Wir machen ja nur diese Plakate. Wenn sie uns angreifen, dann müssen wir kämpfen oder abhauen, eins von beiden. Also ich will abhauen (lacht).
Was sind denn Skinheads und Nazis? Hast du schon mal welche gesehen?
Ich habe sie einmal im Fernsehen gesehen und einmal so in echt. Also die Nazis, die neuen Neonazis, die haben als Erkennungszeichen glaube ich eine Glatze oder ganz wenig Haare, so ganz wegrasiert. Heute habe ich auch noch mal welche gesehen, die haben an die Wände »Ausländer raus« und so geschrieben und ein Hakenkreuz gemalt. Als die weggegangen sind, hab' ich meine Schultasche hingestellt und einen Filzer rausgeholt und alles durchgestrichen. Aus »Ausländer raus« hab ich »Nazis raus« gemacht, und das Hakenkreuz hab ich durchgestrichen.
Woher kommt die böse Stimmung gegen Ausländer, was meinst du?
Oh, das weiß ich nicht.
Ist das schon länger so?
Ich glaube, es ist schon etwas länger. Ich hab's im Fernsehen in den Nachrichten gesehen, weil, mein Papa guckt immer diese langweiligen Nachrichten.
Hat sich in Kreuzberg was verändert?
Also, an meinem Geburtstag haben wir so gefeiert und gegen 21 Uhr spätabends haben wir mit meinen Freunden getanzt. Da haben wir tatütataa gehört und sind vor die Tür gegangen und haben gesehen, daß vom Heinrichplatz Brandwolken hochgehen, Autos springen in die Luft und so'n Zeug. Da hat ein Mädchen geweint, weil ihre Mutter da in der Nähe wohnt, und Anni hatte auch Angst, weil ihr Vater da wohnt. Ich bin am nächsten Morgen da mit dem Fahrrad langgefahren und habe Fotos gemacht. Ich glaub', das haben die Nazis gemacht.
Das waren keine Skinheads, sondern Anhänger der Autonomen. Weißt du, was Autonome sind?
Nee.
Die sind bei Demos meistens ganz schwarz angezogen und machen am 1. Mai nach dem Straßenfest gerne Krawall.
Das könnte auch sein, aber ich glaube, es waren Nazis. Und denn habe ich am nächsten morgen Fotos gemacht. Ein Foto habe ich zweimal gemacht, weil auf einem Auto ein Hakenkreuz gemalt war und drumherum Herzchen. Und dann sind die Fotos gar nichts geworden, weil der Film nicht richtig drin war.
Findest du, daß die Ausländerfeindlichkeit ein richtiges Problem ist?
Mmm, weil die Ausländer können sich vor den Skinheads einfach nicht mehr sicher fühlen, wenn die abends rauswollen. Die haben ja richtige Angst. Vor allem Frauen, wenn die dauernd denken, jetzt werden sie überfallen und so.
Was sollten die Erwachsenen dagegen tun?
Da kann ich jetzt nicht viel zu sagen. Aber die Polizei sollte sich ein bißchen mehr bemühen, weil, es sind ja viele Vorfälle vorgekommen. Vor kurzem, in unserem Kinderladen, wollte ein Kind zu seinem Fahrrad gehen, ein Ausländer war das, da kam von oben von der Terrasse ein Stein runter. Der ist dem voll vor die Füße gefallen, fast hätte er getroffen. Die Leute haben zugegeben, daß sie's waren, und das waren Nazis, und die Polizei hat nichts gemacht.
Haben die Leute gesagt, daß sie Nazis sind?
Das nicht. Aber man hat's gemerkt, ihre Art und Weise, und die Wohnung war auch voller Hakenkreuze und so.
Warst du in der Wohnung drin?
Nee, das hat mir ein Erwachsener erzählt.
Interessierst du dich auch sonst für Politik und für das, was in der Welt passiert?
Jo. Jetzt in dem Thema interessiert mich am meisten die Ausländerkrise.
Und was sonst, was machst du sonst gerne?
Oh, was ich sonst gerne mache? (lacht)Da gibt es viele Sachen. Verstecken spielen. Fußball, ich gehe in einen Fußballverein. Interview: Plutonia Plarre
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