: Ablenkungsmanöver
■ betr.: "Die Deutschen normalisieren", taz vom 19.10.91
betr.: „Die Deutschen normalisieren“ (Für eine neue Einwanderungs- und Asylpolitik),
taz vom 19.10.91
Ozan Ceyhun hat absolut recht, wenn er sagt, daß der „normale“ Deutsche nicht mit den bisherigen Argumenten der „Linken“ zu überzeugen ist. Seine Antwort auf dieses Problem aber geht ebenso an den „normalen“ Deutschen vorbei wie viele Argumente, die sich ständig auf die Diskussionsebenen der CDU einlassen. In dieser Rassismusdiskussion wird immer wieder darauf eingegangen, daß „die“ Deutschen nicht zu viele Ausländer verkraften können. Der Vorschlag Ceyhuns und vieler Linken für ein Einwanderungsgesetz, geht auch auf diesen vorgegebenen Diskussionsrahmen ein, wenn angedeutet wird, daß ein Einwanderungsgesetz den Rassismus abbauen könnte. Ein durchaus notweniges Einwanderungsgesetz würde den Problemen der Ausländer zwar helfen, aber den Rassismus und die Probleme der „normalen“ Deutschen spricht er nicht an.
Der Grund, daß die Argumente der Linken bei „normalen“ Deutschen nicht ankommen, liegt nicht an ihrer Komplexität, wie es Ceyhun andeutet, sondern weil sie an den tatsächlichen Problemen der Menschen total vorbeigehen. Das eigentliche Problem ist doch die Angst der Deutschen vor Verlust ihres Wohlstandes. Die Angst vor den Ausländern kommt erst, weil CDU-Politiker und andere Rechte einen Zusammenhang zwischen der Anwesenheit von Ausländern und der Gefahr für den deutschen Wohlstand herstellen.
Die SPD und die Grünen sind doch dumm, wenn sie sich ständig auf das Thema Ausländerpolitik einlassen, statt die Menschen darauf hinzuweisen, daß ihr Wohlstand nicht durch die Ausländer gefährdet ist, sondern durch eine verfehlte Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die CDU hat es tatsächlich und sehr erfolgreich geschafft, alle politischen Kräfte von der katastrophalen Lage vieler „normaler“ Deutschen abzulenken und auf ein Scheinproblem aufmerksam zu machen. Wenn die SPD und die Grünen sich nicht auf dieses Ablenkungsmanöver einlassen würden, dann würden sie garantiert bei der Mehrzahl der Menschen wieder argumentativ ankommen, sofern es nicht schon zu spät ist. Gregor Wilpert, Soziologe, (West-)Berlin
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