piwik no script img

Jugoslawien

■ "Triumpf des Völkischen", taz vom 16.10.91

betr.: „Triumph des Völkischen“ von Erich Rathfelder,

taz vom 16.10.91

Lieber Rathfelder,

1.Du solltest bei der Wahl Deiner Adjektive etwas vorsichtiger sein. Versuch mal, das Adjektiv „völkisch“ in eine andere Sprache zu übersetzen. Du wirst merken, daß keine dieser Übersetzungen auch nur annähernd die spezifisch-deutsche antagonistische Aufladung hat, mit der in diesem Land in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts, von beiden Seiten der „Barrikade“, scharf zwischen dem politisch Guten und dem politisch Bösen unterschieden wurde. Nicht genug, daß Du mit Deiner die historisch-politischen Differenzen in der konkreten Artikulation des „Nationalen“ einebnenden Projektion dieser deutschen Kampfkategorie einen deutsch-ideologischen Imperialismus gegenüber Menschen praktizierst, die, nachdem sie in den vergangenen Jahrzehnten unter ganz anderen Gewaltverhältnissen lebten als Du und wir, jetzt um ihre nationalen und demokratischen Freiheitsbereiche kämpfen. [...] Nein, Du attackierst auch konservativ-liberale Stellungnahmen wie die in der 'FAZ‘, die, mit welch diskutierbaren Argumenten auch immer, eine andere als abwartende Position gegenüber dem Krieg auf dem ex-jugoslawischen Territorium glauben begründen zu können. Eine Position, die sich eben nicht „notgedrungen“ auf eine bloße Zuschauerrolle gegenüber der Aggression der überlegenen Gewalt einer unter großserbischen Ideologiefahnen angreifenden, aber innerhalb der jugoslawisch-kommunistischen Diktatur aufgebauten Armeeführung beschränkt. Die Attacke gegen diese Position führst Du, indem Du sie schon im vorhinein im „völkischen“ Pol einer wahnhaften Aufteilung des politischen Raumes in „völkisch/antivölkisch“ verortest. Von dieser Aufteilung wirst Du wohl nicht im Ernst behaupten, daß sie für die konkrete politische Landschaft dieser Republik eine Bedeutung hat. Nicht eine jede journalistische Rede, die von „Serben“ und „Kroaten“ spricht, tut dies mit einer „völkischen“ Stimme und noch weniger schreibt sie damit „Kollektivschuld“-Momente zu, die Du — in ebenfalls recht seltsamer Weise — in ihr wahrnimmst.

2.Du solltest mal genauer darauf reflektieren, was Dich, zusammen mit vielen in der Bundesrepublik, die Führungsgremien der Grünen eingeschlossen, eigentlich in diese passiv- fatalistische Zuschauerrolle zwingt. Eine Zuschauerrolle, die — auch im Einklang mit dem sich die Hände in Unschuld waschenden und unter der Hand blutige vollendete Tatsachen schaffenden Vorgehen einer putschistischen, mit dem diktatorialen Erbe ausgerüsteten Armee feige hinnehmenden EG-Staatskonzert — meint, jetzt alle Kräfte, die sich gegenüberstehen, als gleichartige irrationale Streithähne behandeln zu können. Wir meinen, Du könntest dann darauf kommen, daß diese „Nachtskizze“, in der alle Katzen grau sind, nicht im geringsten gerechtfertigt ist.

In Jugoslawien setzt sich — auch noch heute — ein Stück der Frontstellung fort, der entlang die Parteiimperien, ebenso wie die von „übernationalen“ Hegemoniezentren gewaltsam zusammengehaltenen „Vielvölkerreiche“ bekämpft und aufgebrochen wurden. Die Grußbotschaft von „Bündnis 90“ an die Friedensversammlung in Sarajewo hat, getragen von der Entschiedenheit ihres voll aufgenommenen demokratischen Kampfes — den breiteste Teile der deutschen Linken in Ost und West nicht bereit waren aufzunehmen — genau auf diesen historisch-politisch entscheidenden Punkt hingewiesen.

Daran sieht auch vorbei, wer das eigentliche Machtgeschehen nicht wahrnehmen will, das sich im jugoslawischen Drama darin abspielt, daß die mit dem Erbe der diktatorialen Staatsmacht ausgestattete Armeeführung alle Völker des vormaligen Jugoslawien gewaltsam vor die Alternative stellt: Entweder ein Jugoslawien mit der sie zusammenzwingenden und totalitär eingefärbten serbischen Hegemonie, oder ein Großserbien, in dem dann militärisch garantiert werden soll, daß „alle Serben“ auch auf „serbischem Boden“ leben können, gleichgültig, welche Einschnitte in die territorialen Grenzziehungen der nicht-serbischen Republiken das mit sich bringen muß. Die heutige jugoslawische Armee ist jenes Gebilde, zu dem die sowjetische Armee unter einer national-bolschewistischen, großrussischen Führung hätte werden können, hätten dies nicht all jene in Rußland, die das Historisch-Nationale und das Demokratische zusammen zu artikulieren wußten, kampfbereit verhindert. Daß heißt, jene Menschen und politischen Subjekte, die Deiner ideologisch-dichotomischen Aufteilung entsprechend in den Sack mit der Aufschrift „völkisch“ gesteckt gehörten. Wäre diese Gestalt in der Sowjetunion zutage getreten, dann hätten „wir“ sie selbstverständlich als das erkannt, was sie ist: Da ihre „jugoslawische“ Gestalt „uns“ nicht direkt berührt, können „wir“ es uns erlauben, uns blind zu stellen.

Wer meint, diese hinter den Alternativen stehende Macht in einer Weise begütigen zu wollen, ohne ihr die Zwangsmittel vorzuführen, die ihr verdeutlichen, daß diese Machtträume keine realistische Chance auf Realisierung haben, gibt all denen Recht, die die gesamte Friedensbewegung und -politik schon immer unter der Rubrik „München 1938“ geführt haben. Die Nacht der Indifferenz kommt deshalb keineswegs von der Sache her. Sie rührt, vor allem in der Bundesrepublik daher, daß die Präventivabwehr eines möglichen Eingereihtsein-Könnens in die Nähe des „Bösartig-Völkischen“ wichtiger ist, als den Bedrängten dieser Stunde mit einer politischen Entscheidung beizustehen — denjenigen, die in der gegenwärtigen Machtkonstellation der Welt und Europas die Karte der Verlierer und der Opfer haben. Hans Scheulen, Zoltan Szankay, Bremen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen