: Affenscheiße und »Theater heute«
■ Das Off-Off-Theater spielt im Ensemble-Theater am Südstern »Toter Affe« von Nick Darke
Man stelle sich vor, der Strindbergschen Ehehölle wäre der zelebrierte Haß abhanden gekommen und statt existentialitisch angehauchten Vampirismus waberte nur nackte Geilheit durch das düstere Gemäuer.
Man stelle sich vor, Edward Albees martialisches Ehegespann (»Wer hat Angst vor Virginia Woolf«) hätte nicht nur den Wohlstand, sondern auch die Intellektualität verloren und die beiden würden nun, statt den Nahkampf-Stil der zynischen Verbalerotik zu pflegen, blindlings aufeinander eindreschen.
Vielleicht genügt es aber auch schon, sich vorzustellen, wie Tarzan und Jane ihre primitive Dschungel- Idylle aufgegeben hätten, um irgendwo in den Slums der Bronx irgendwo ein mieses Unterklasse-Dasein zu leben; ohne rettende Lianenparade, aber mit viel Sexgedanken. Vielleicht aber muß eine freie Berliner Theatergruppe sich statt »Off- Off« erst »Aff-Aff« nennen und »Tierisches für die Großstadt« versprechen, damit das amerikanische Pärchen, das Nick Darke in seinem Stück Toter Affe aufeinander losläßt, im recht schrägen, geschmacksverwirrten Bühnenlicht erscheinen kann.
Und was für ein Lotterpaar gurkt da durch den knapp angedeuteten Schmuddelhaushalt! Sie: eine grellrot-perückte Röhre, in der sich Heulboje und Keifweib unheilvoll verquicken. Nela Bartsch spielt die vulgäre Trampelschlampe mit atemberaubender Lust, ordinär bis in jeden Stöckelschritt und jede Kieferbewegung. Und er: ein kleiner, versoffener Miniaturgeist im durchtrainierten Körper. Oliver Marlo darf ganz das Oberlippen-Machobärtchen mimen und in Hawaii-Shorts der supergeilen Vorstellung vom absoluten Surf-King hinterherschlawinern. Ein Waschlappen mit allerlei aggressiven Tönen, die sich beizeiten eher überraschend zu Worten und ganzen Sätzen mausern.
Ein mickriges Höllenpaar also, das gewohnt ist, in der Scheiße zu leben — und nicht nur mit der im eigenen Kopf. Denn während Hank für dubiose Vertreterjobs auf der Autobahn »entlangfegt«, scheißt das liebe Haustier, ein überalter Affe, die Bude voll. Dolores hilft sich mit den Hochglanzseiten von 'Theater heute‘ (»die kauf' ich extra für die Scheiße«), die sie über die frischen Dunghaufen wirft, auf daß die Hochkultur den Affenmist ganz an sich binde.
Doch wenn das Stück anhebt, ist der olle Affe schon längst tot und liegt auf dem abgeschrägten Küchentisch. Er starb während eines sodomitischen Aktes, den Dolores mit ihm, dem ewig geilen Tier, für Geld vollzogen hatte. Zu Recht mach' sie sich weniger Sorgen wegen der Schandtat als darum, daß das Tier ihres Mannes liebstes Spielzeug war; denn der gerät bei seiner Heimkehr in heftigen Kummer über den Verlust. Da aber kein Geld für eine Beerdigung da ist, sind die Gefühle schnell getilgt, der affige Kinderersatz wird flugs verzehrt. Zwar bekommt das Paar kurz darauf als Ersatz ein mazedonisches Lockenschweinchen angedreht, doch wird auch das bald abgemurkst — von einer deutschen Dogge. So bleibt das Stück bestimmt von der Zwistigkeit einer Ehe, die ohne tierisches Element auskommen muß; und tatsächlich wird vom Sex nur viel gesprochen und lange diskutiert, wer nun oben, wer nun unten liegen soll — zu sehen gibt es das dann nicht, zum Glück.
Was zu Beginn mit geradezu aufputschender Dynamik auf den Zuschauer zukommt, entpuppt sich schnell als hektisch arrangierte Flüchtigkeit, so als schämten sich die Macher oder hätten einfach nur Angst, sich am Schmuddelkram allzu dreckig zu machen. Als gäbe es nicht auch für Inszenierungen ein Tempolimit, rast das banale Geschehen durch den Blödsinnsreigen der boulevardesk-tuntigen Einfälle von Regisseur Donald Berkenhoff, als wolle er zunächst nur fragen, ob all das zu zeigen wohl auch lohne.
Es lohnt nicht! Zumindest nicht, wenn die lachhaft selbstironische Anbiederung ans Publikum derart zu Hochtouren auffährt, daß jeder mögliche Tiefgang ans Plakative verkauft wird. Als genüge es, den Küchentisch über den Kino-Breitwandrahmen in den Zuschauerraum zu verlängern und hier und da auch mal ins Publikum zu grinsen! Das geradezu aufopfernde Spiel der agilen Darsteller wird so schlichtweg desavouiert.
Und plötzlich will das alles auch noch grausam ernst und tragisch sein. Am Ende gelingt Dolores der Ausbruch aus der Ehehölle: Sie wird vom immer wieder auftauchenden Tierarzt entdeckt (im brillianten Gestaltungsverzicht einer Rolle: der Regisseur selbst). Wo sie im menschlichen Miteinander versagte, gelingt ihr nun der tierische Bezug; aufs neurotische Zoo-Getier wirkt sie beruhigend und findet so einen lukrativen Job, der die Abhängigkeitsverhältnisse zu Haus verdreht und Hank die Küchenschürze umbindet. Der sitzt dann, nachdem er sein Eheweib zusammengeschlagen hat, genüßlich im Sessel, liest 'Cosmopolitan‘ und steigert sich in eine ungebrochene Kritik am »Illustrierten-Dreck« hinein: So wächst doch glatt noch ein moralisch erigierter Zeigefinger aus der szenischen Lumpensammlung und läßt das mediokere Konzept erkennen, das glaubt, oberflächliche Selbstironie zum allgemein erschreckenden Tiefgang gefrieren lassen zu können. Doch um den zu erreichen, hätte man das tierische Element nicht nur zum Anlaß eines schrillen Vergnügens nehmen dürfen, sondern als böse Metapher auf die Neurose zwischenmenschlicher Beziehung ins Blickfeld rücken müssen. Mit knallchargierter Platitüde läßt sich Derartiges allerdings nicht vorführen. baal
Toter Affe im Ensemble-Theater am Südstern, Hasenheide 54, bis 11. 11. fr. bis mo. jeweils 21 Uhr
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