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Poetische Kritik der Vernunft

■ Uraufführung beim Zan Pollo Theater: »Der Trauerfisch« von Vladimir Kasakov

Wie nur kann man einen Theaterabend vernünftig beschreiben, der alles darauf anlegt, Vernunft zu hintertreiben? Wie soll man sinnvoll zusammenfassen, was in widerborstige Einzelteile zerfällt und jedem Sinn sich vorsätzlich verweigert? Vielleicht, indem man zitiert, was an wortwitzigen Sentenzen im Kopf zurückgeblieben ist: Unter Ihrer vorgetäuschten Verzweiflung erkenne ich echte Verzweiflung. — Ich habe neulich in einen Spiegel geschaut; er zittert heute noch. — Nehmen Sie sich doch in die Hand! — Ich habe alles mögliche Unglück erlebt. Jetzt, glaube ich, muß ich glücklich sein. — Ich bin nicht tot: ich lebe vermißt. — Ich fühle mich heute entschieden ichiger als sonst. — Eine Minute besteht aus 60 Fragezeichen. — Mir scheint, ich habe das Fundament für eine Unterhaltung gelegt.

Tatsächlich durchbricht jeder dieser Sätze die logischen Wände eingefahrener Konvention, irritiert in der scheinbar willkürlichen Anhäufung zuerst das Gehör und dann den Verstand. Doch wie wild diese schrägen Merksätze auch aus dem Zusammenhang gerissen sind, sie geben gerade damit das Fundament, die Philosophie der Dialoge wieder, die Zan Pollo unter dem Titel Der Trauerfisch aus Büchern des 1988 verstorbenen Russen Vladimir Kazakov neuerdings zusammengesucht hat.

Soll man lieber vom Handlungsfaden berichten, der keiner ist? Es geht um Liebe, um die Welt, um alles und um gar nichts. Gewiß, da tritt kontinuierlich ein Freundespaar auf, der eine in Weiß, der andere in Schwarz, und da gibt es eine Liebesgeschichte um eine tanzende Evelyn, in deren Verlauf der schwarze Freund sich erhängt, während der weiße mit der Angebeteten auf einer schrägen Artistenstange turnt.

Schließlich wären da noch die eingestreuten Szenen eines biederen Brautpaares. Und dann kommen ab und zu drei schwarze Gestalten aus dem Publikum, laufen mit den anderen durchs Bild und unterhalten sich über das, was sie gerade sehen. Und doch: All das bleibt Schattenriß, schmale Andeutung, atmosphärisches Zitat und trifft das Eigentliche nur schlecht am Rande.

Vielleicht sollte man lieber von einzelnen Bildern erzählen, die sich so irritierend auf die Netzhaut legen, daß sie den Wunsch nach Übersicht vergessen lassen. Die stärksten Bilder handeln von verhinderter Liebe, heftigen Beziehungskämpfen im Vorfeld der Erfüllung. Erst dann lugt das Schicksal vorsichtig als Bräutigam um die Ecke. Der Auserwählte, der kurz darauf vor seinen Schwiegereltern einen merkwürdigen Veitstanz kümmerlicher Unterwerfung hinlegt, in dessen Verlauf er sich die Hände blutig schlägt und auf dem Boden verendet; aus der Traum vom Eheglück. Da wäre auch noch das andere, erotisch elektrisierte Paar, das wie Raubtiere aufeinander zu kriecht, um sich in einer bemerkenswerten Körpernummer umeinander zu winden, ohne zu einem harmonischen Miteinander zu gelangen — am Ende entsteht ein bizarr verrenkter Kuß: Bild einer merkwürdig mißlungenen Innigkeit.

Doch diese und viele andere Bilder beschreiben heißt ihnen eine gefällige Selbstverständlichkeit zu verpassen, die sie gar nicht haben, nicht haben wollen: Sie bleiben rätselhafte Verzauberungen, atmosphärische Verknotungen, poetische Gesänge wider jede beschreibbare Logik, logische Beschreibbarkeit.

Doch weil der zur Rationalität verdammte Beobachter es partout nicht lassen kann: Hier läßt sich eine leicht schwingende Absurditätenschau, fern von jenem trauernden und heroischen Existentialismus französischer Prägung erleben, denn statt das sinnlose Schweigen der Welt als Bedrohung zu brandmarken, wird es einfach als dynamischer Schritt hinter die Kulissen der biederen Vernunft verstanden. Alltagslogik wird schlicht aufgehoben und in einen humorvollen Prozeß lyrischer Unbegreiflichkeit eingebunden, der sich als »poetische Kritik der Vernunft« verstehen läßt. So wie die Dinge, der Spiegel, die Türen, die Fenster plötzlich von allein sich bewegen können, so gerät auch jeder Satz, jede Bewegung, jeder Musikton in eine eigenständige Schwingung, die ein Leben ahnen läßt, das sich ideologischer Unterwerfung hartnäckig widersetzt. Gewiß fällt es leicht, sich dem absurden Wortwitz hemmungslos zu überlassen, leicht fiele es auch, sich vernünftig abzuwenden. Doch das überaus präsente Spiel der Darsteller, das jeden, ob Musiker, Tänzer oder Schauspieler in seinem Metier ganz fordert, läßt den freien Fall der Wahrnehmung als faszinierendes Ereignis für anderthalb Stunden Bühnenwirklichkeit werden. Hier entsteht im Zuschauerraum eine merkwürdig konkrete Vorstellung von dem, was Vladimir Kazakov mit seinem »nicht heilenden Paradies« meinte, dem er zu Lebzeiten seine ganze künstlerische Arbeit unterstellte. baal

Zan Pollo Theater, Rheinstraße 45, Mi bis So, 20 Uhr

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