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Haltet den Dieb!-betr.: "Ostler wollten raus" (Stadtmitte), taz vom 14.10.91

Betr.: »Ostler wollten raus« (Stadtmitte),

taz vom 14.10.91

Da haben wir's: Der eine gute Freund, ein 68er Lehrer (was ist das? Ich hatte nur Mathe-, Deutsch- und Staatsbürgerkundelehrer), hatte es gewiß noch nie so leicht. Und nun setzt er der unglaublichen Zumutung von Ost-Kollegen seine wahrhaft christliche Toleranz entgegen.

Die anderen Freunde, vormals in der DDR schon privilegiert (daß Künstler in der Regel auf Kosten der Gesellschaft unanständig reich werden, lernte in der DDR schon jedes Kind!), kauften noch schnell eine Immobilie und setzten sich dann geschickt nach Hollywood ab. Zum Geldverdienen, versteht sich.

Während der arme Lehrer in seiner kleinen Mietwohnung abends das letzte Geld vertrinkt, um die neuen Qualen seines Alltags zu vergessen, lümmelt die Künstlerschaft mit Sekt und gebräunten Mädchen an einem Swimmingpool und leckt sich die süßen Wunden ihrer Vergangenheit...

Solche Geschichten erleben wir seit dem Fall der Mauer allenthalben. Ein typisches Beispiel jagt das nächste — wir wollen es kaum noch glauben.

Udo Knapp aber bleibt bei der Schilderung der Geschichte seiner Freunde nicht einfach stehen. Er ergründet für uns die Ursachen und Hintergründe seiner Pein. Nüchtern und überzeugend räumt er auf mit der gemeinsamen Lebenslüge, die noch bis vor zwei Jahren grenzübergreifendes Kuscheln so traumhaft schön sein lassen konnte. Messerscharf zeichnet er nun das Bild der neuen (alten) Wirklichkeit und gesteht sich und uns das Scheitern einer geliebten Illusion. Auf beiden Seiten. Schlimm!

Ach hätten wir es doch früher schon geahnt, dann müßten wir jetzt nicht so sprachlos umeinanderherumschleichen: Der Ostler hätte schon immer zu seiner perversen Lust am »Nichtdürfen« gestanden und dem Westler damit soviel sinnlos verströmte Herzenswärme erspart.

Was bleibt? Die Ostler jaulen! Und die Westler halten sich die Ohren zu. Sollten sie auch, denn derlei Mißklang spricht der späten Erkenntnis Hohn, daß sie (die Ostler) doch allemann Mitverantwortung für 40 Jahre SED- Herrschaft tragen. Und dieses Theater über angeblich ungerechte Abwicklung, wie widerlich. Ist doch im Westen alles schon einmal vorgelebt und vorgescheitert worden. Gibt es doch genug Bücher. Was soll das Theater?

Und wahrhaft tragisch wirkt sich diese Jaulerei auf die Standhaftigkeit der Politiker aus: Hatten sie sich doch schon 43 Jahre nach Beendigung des Holocaust für den Bau eines Jüdischen Museums entschlossen, ist dieses Tempo nun durch das Klagen der Ostler gebremst worden. Auch verhindert die Biederkeit der neuen Mitbürger die Durchsetzung urbaner Konzepte für die bauliche Gestaltung der westlichen Metropole Berlin. Ist so viel Rücksicht angebracht?

Ob der entflohene Ost-Freund dem Herrn Knapp wenigstens einen Weihnachtsgruß aus Hollywood schickt? Ich fürchte, nein! Albrecht Henkys, Fredersdorf

(Land Brandenburg)

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