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Oggersheim ist überall

Blumenau (dpa/taz) — Teutonen- Wahn in Südbrasilien: Präparierte Schulkinder, Trachtenvereine und Blaskapellen verwandelten die Stadt Blumenau in Südbrasilien in ein potemkinsches Oggersheim: So fühlt sich Kohl im Ausland wohl.

Der frühere rheinland-pfälzische Ministerpräsident Bernhard Vogel fühlte sich wie zu Hause: „Das ist ja wie in Deidersheim.“ Als Helmut Kohl im Freizeitdreß an der Spitze einer Abordnung deutschstämmiger Trachtenvereine mit ihren Kniebundhosen und Dirndlkleidern durch die Gassen von Blumenau zog, hätte dieses Bild ebensogut in einer bayerischen Gemeinde oder in der pfälzischen Heimat des Kanzlers entstehen können.

Blumenau, wo etwa 100.000 der 300.000 Einwohner sich zu ihrer deutschen Abstammung bekennen, ist eine Stadt im Süden Brasiliens, wo man zum „Schützenfest“ geht und im Restaurant „Frohsinn“ einkehrt, um Bier von der Kaiser-Brauerei zu trinken. An diesem Kohl-Tag wurden Hunderte von Volksschulkindern entlang der Straße postiert und mit deutschen und brasilianischen Fähnchen ausgestattet. Die begleitenden Lehrer gaben Anweisungen zum richtigen Verhalten. Als Kohl dann — nach einem kurzem Kniefall zum Gebet in der Franziskaner-Kirche — an der so präparierten Kulisse vorbeischritt, wirkte die Begeisterung dann aber keineswegs gekünstelt. Jede Menge Hände streckten sich ihm entgegen, alt und jung wollten „das Ereignis“ des Tages miterleben.

Am Abend dann in einem Zelt des „Oktoberfestes“ war die Stimmung unter den etwa 3.000 „im Straßenanzug“ vom Kanzler geladenen Gäste dann wieder offizieller: Kohl wurde von den Vertretern aus Stadt und Staat Santa Catarina als „großer Führer der Welt“ vorgestellt. Der so hoch Geehrte nahm die verbalen Huldigungen gelassen entgegen. Im Rücken auf dem Podium stand eine Kapelle in Lederhosen mit Seppelhut bereit, vor seinen Augen ein Transparent: „Oggersheimer begrüßen den Bundeskanzler.“

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