: Sicherheitsspielereien
■ FC Rot-Weiß Erfurt unterlag als Letzter der 2.Liga dem vierfachen EC-Gewinner Ajax Amsterdam 1:2
Erfurt (taz) — Wer glaubte, das UEFA-Cup-Heimspiel der Erfurter in der zweiten Runde gegen den Amsterdamer Club mit dem Namen aus der griechischen Heldenmythologie würde das heimelige Steigerwaldstadion in einen Hexenkessel verwandeln, sah sich getäuscht: Nur 6.100 Zuschauer fanden den Weg ins Stadion der thüringischen Landeshauptstadt, das zu DDR-Zeiten noch nach dem bulgarischen Arbeiterführer Georgi Dimitroff benannt war.
Das sichernde Vorspiel
Aber auch aus Amsterdam waren nicht die angekündigten 2.000 randalegeilen Hooligans erschienen, sondern nur 250 Fans mit vorwiegend freudbetontem Fußballinteresse. Für ihren heiß-herzlichen Empfang marschierten dennoch 840 Polizisten. Das kleine Stadion glich einer Festung, und die gespenstisch-spärliche Kulisse vor dem gelbrot aufsteigenden Vollmond verstärkte den Eindruck einer geradezu unwirklichen Freiluftinszenierung mit ungewissem Ausgang.
Der kleine Provinzklub hatte sich generalstabsmäßig für das „Spiel des Jahres“ gerüstet. Die Ordnung, so stellte der Sicherheitsbeauftragte Seifert klar, wolle man sich an diesem Abend nicht durcheinanderbringen lassen — weder von thüringischen Neonazis, noch von angereisten Randalierern aus Amsterdam. Dazu kam es erst gar nicht. Waren die ausführlichen Berichte in den niederländischen Zeitungen über Ausländerfeindlichkeit und Gewaltbereitschaft ostdeutscher Jugendlicher bewußt lanciert gewesen? Die wenigen Amsterdamer Fans jedenfalls „artikulierten“ sich zivil, aber gezielt mit „Ausländer rein!“ und rollten provokativ zwei Israel-Flaggen aus, die in der Pause von behelmten Polizisten entfernt wurden.
Im Block 7 brüllten einige Dutzend Thüringer „Huuuls“ hinter den obligatorischen DDR- und FDJ-Fahnen abwechselnd „Ausländer raus!“, „Juden raus!“ und stießen bei jeder Ballberührung von Winter, Menzo oder Roy — Ajax-Spieler surinamesischer Herkunft — Urwaldlaute aus. Als die einzige Leuchtrakete des Abends aus dem Erfurter Block gen Himmel gezündet wurde, drohte der Stadionsprecher sofort mit Räumung des gesamten Blocks.
Das Sicherheitsspiel
Der sportliche Teil der Veranstaltung nahm zunächst den erwarteten Lauf in Richtung Erfurter Tor. Die Ajax-Kicker spielten ihre technische Überlegenheit aus und die Rot-Weißen an die Wand. Vor allem Linksaußen Roy überzeugte mit derart gewieften Tricks, daß er sich den konzentrierten Ärger der Thüringer Fans zuzog. In der 39.Minute jedoch konterte der Zweitliga-Letzte über seinen Routinier Jürgen Heun, der zwar nicht mehr sprinten, aber immer noch flanken kann. Der Ball übersegelte die gesamte Ajax-Abwehr, prallte gegen den etwas erhobenen Fuß von Uwe Schulz und von dort ins Tor. Ob er zu diesem Zeitpunkt Angst um seine Mannschaft hatte, wurde Ajax-Coach Louis van Gaal nach dem Spiel gefragt. Seine von Erfurter Lokalpatrioten erschüttert zur Kenntnis genommene Antwort hieß: „Nein. Kein Problem.“ Denn in der ersten Minute der zweiten Halbzeit traf der aufgerückte Verteidiger Vink und dreizehn Minuten vor Schluß dribbelte Dennis Bergkamp höchst elegant durch Erfurts Abwehr und zelebrierte den Siegtreffer.
Von weiteren Toren nahm der 23fache niederländische Meister Abstand, um das Interesse am Rückspiel wegen zu großer Langeweile nicht zu gefährden.
Das unsichere Nachspiel
In den letzten zehn Minuten wurde ohnehin die Polizei zum Hauptakteur. Erfurter Skinheads versuchten den Amsterdamer Block zu stürmen und wurden vor Erreichen ihres Ziels verhaftet. Auch die Wasserwerfer wurden präsentiert, aber nicht eingesetzt, wie die Nachrichtenagenturen meldeten. Es blieb auch bei einer einsamen Leuchtrakete. Als die Ajax-Hools schließlich nach friedlicher Auswärtsreise die Bundesrepublik verlassen wollten, wurden sie doch noch entwaffnet. An der Grenze nahm ihnen der Bundesgrenzschutz Messer, Baseballschläger und Wurfgeschosse ab.
Damit begann das Vorspiel zum nach Düsseldorf strafverlegten Rückspiel. Dort werden 10.000 Ajax-Fans und die vereinigte Hoolerei des Ruhrgebiets erwartet. Die Wirte der Innenstadt schlossen schon mal aus Sicherheitsgründen die „längste Theke der Welt“. Henk Raijer & Hagen Boßdorf
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