Die wankende Hölle vom Nou Camp

Im Europapokal der Landesmeister gewann der FC Barcelona gegen den 1. FC Kaiserslautern mit 2:0 Die „Teufel vom Betze“ verpaßten im katalanischen Hexenkessel die Schwächemomente ihrer Gegner  ■ Aus Barcelona Matti Lieske

„Die Hölle, das sind die anderen“, legte Jean-Paul Sartre einst unumstößlich fest, doch einer widerspricht vehement: Karlheinz Feldkamp, Trainer des 1. FC Kaiserslautern. Er kennt gleich zwei Höllen: die heimelig-heimische hoch droben auf dem Betzenberg und die von Barcelona, in harmloser Verschleierung einfach „Nou Camp“ genannt. „Das Nou Camp wird das Inferno für uns“, prophezeite der Dante vom Betze, „aber unser Stadion wird das Inferno für den FC Barcelona.“

Ähnlich sah es Feldkamps niederländischer Kollege in Barceloneser Diensten, Johan Cruyff, der geschmeidigste Nichtraucher der Welt. Im Training pflegt er seinen Untergebenen noch manches Schnippchen mit dem Ball zu schlagen, ansonsten schwingt er unnachgiebig das Zepter beim glorreichen FC Barcelona, dem reichsten Irrenhaus Europas, wie böse Zungen munkeln.

Sogar der Papst ist hier Mitglied, aber an den hageren Johan reicht in Katalonien auch der Heilige Vater nicht heran. Cruyff habe mehr Macht als Kataloniens Präsident Jordi Pujol, höhnte jüngst Ex-Barca-Insasse Bernd Schuster, und selbst der allmächtige Vereinspräsident Josep Lluis Nunez kuscht, wenn der Trainer auf den Putz haut. Schließlich hat Nunez nicht vergessen, daß Cruyff 1978, damals noch aktiv, viel dazu beigetragen hatte, ihn in den Präsidentensessel zu hieven. Nibelungentreu steht er ihm zur Seite, zum Lohn gab es in der letzten Saison die Meisterschaft, und auch der völlig verkorkste Auftakt zur neuen Spielzeit konnte Cruyffs Position trotz heftiger Anwürfe kaum erschüttern.

Sein extrem offensives System mit nur drei echten Abwehrspielern birgt stets eine hohe Gefahr, in Konter zu laufen, und da die im letzten Jahr so treffsicheren Stürmer bislang Tore verschenkten „wie andere Leute Blumen“ (Stürmer Begiristain), drückte sich das in bitteren Niederlagen und dem 13. Tabellenplatz aus.

Nur fünfzig Prozent ihrer Möglichkeiten sollten seine Leute gegen Kaiserslautern nutzen, wünschte sich Cruyff, das müßte dann zu zwei bis drei Toren Vorsprung reichen. Die nötige Ruhe für die Torchancenverwertung sollten den Stürmern die Zuschauer einflößen. Die Hölle vom Nou Camp eben.

„Das volle Stadion ist beeindruckend, wenn du von unten auf das Feld kommst. Ich hoffe, daß es sie mit Furcht erfüllt.“ Ein Gemütszustand, der dem fußballerischen Leistungsvermögen durchaus abträglich ist und den Ernst Bloch so definiert: „Viele fühlen sich nur verwirrt. Der Boden wankt, sie wissen nicht, warum und von was. Dieser ihr Zustand ist Angst, wird er bestimmter, so ist er Furcht.“

Die Furcht schien allerdings erstmal den Akteuren des FC Barcelona in die Glieder gefahren zu sein. Überhastet und nervös beförderten sie den Ball über das Feld, meist direkt zu den erfreuten Lauterern, die ihrerseits wohldurchdachte, vielversprechende Angriffe aufzogen. Das änderte sich, als sich nach einem von Michael Laudrup blitzschnell ausgeführten Freistoß plötzlich der Bulgare Hristo Stoitschkow auf dem linken Flügel durchwühlte, der Ball plötzlich im Netz zappelte, das Tor aber vom Schiedsrichter abseitsbedingt nicht anerkannt wurde. Ein Wutschrei brandete durch das Stadion, der Barcelonas Spieler abrupt erweckte, und wie es Ernst Bloch vorausgesagt hatte, begann der Boden unter den Deutschen zu wanken.

Plötzlich gab es Chancen in Fülle für die Katalanen, Laudrup zauberte der Pfälzer Abwehr Knoten in die Beine, Stoitschkow (Jupp Heynckes: „Ein Filou, ein Zigan“) wuchtete seinen Körper immer wieder gefahrbringend in Tornähe, und Aitor Begiristain erwies sich als der Messias des Strafraums, auf den Johan Cruyff seit Saisonbeginn sehnlichst gewartet hatte.

Nachdem er noch einmal aus abseitiger Position getroffen hatte, schoß er in der 42. Und 52. Minute zwei vollgültige Tore für die Gastgeber, die dann von ihrem halbstündigen Feuerwerk so erschöpft waren, daß sie in den letzten zwanzig Minuten völlig die Kontrolle über das Spiel verloren.

Das war Kaiserslauterns große Gelegenheit, das goldene Gegentor zu erzielen, welches den Einzug in die Endrunde um den Landesmeistercup in greifbare Nähe gerückt hätte, und es hätte der große Tag des Guido Hoffmann werden können. Drei Riesenchancen hatte er nach Leichtsinnsfehlern der Barca-Abwehr, doch dreimal scheiterte er. Noch lange wird ihm wohl in seinen übelsten Alpträumen die Szene erscheinen, als er, vorbei an Keeper Zubizarreta und frei vor dem leeren Tor, nur das Außennetz traf. „Damit muß ein Fußballer leben“, sagte der enttäuschte Kalli Feldkamp nachher grimmig und grämte sich mächtig: „Als der Gegner müde wurde, mußten wir zuschlagen.“ Daraus wurde nichts, aber es bleibt ihm ja noch die Hölle vom Betzenberg. Und Ernst Bloch: „Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen.“

FC Barcelona: Zubizarreta - Ferrer, Koeman, Guardiola - Nadal, Bakero, Eusebio (67. Cristobal), Witschge, Begiristain, Laudrup - Stoitschkow (70. Salinas).

1. FC Kaiserslautern: Ehrmann - Funkel - Stumpf, Dooley - Scherr, Haber (77. Degen), Hotic, Hoffmann, Kuntz (60. Goldbaek), Kranz - Witeczek.

Zuschauer: 65.000, Tore: 1:0 Begiritain (42.), 2:0 Begiristain (53.).