: Denunziantentum
■ Wolf Biermann und die Stasi-Spitzel in der Künstlerszene
Denunziantentum Wolf Biermann und die Stasi-Spitzel in der Künstlerszene
Dafür, daß er „mutig, klarsichtig und leidenschaftlich Unrechte und Mißstände unserer Zeit anprangert“, hat die Darmstädter Akademie vor kurzem Wolf Biermann mit dem Georg- Bücher-Preis ausgezeichnet. Prompt sorgte er in seiner Dankesrede für Furore. Erst bekamen die angepaßten und ausländerfeindlichen Ossis ihr Fett weg, dann einige derer, die als Stasi-Spitzel der Opposition in den Rücken fielen. Darunter der von Biermann hervorgehobene „unbegabte Schwätzer Sascha Arschloch“, ein Lyriker namens Sascha Anderson. Außer dessen angeblicher Stasi-Kennziffer „AIM 7423/91“ hat Biermann bis heute nicht begründet, worauf seine Anschuldigungen fußen. Die sind, so wie sie öffentlich ohne Begründung geäußert wurden, nichts anderes als Denunziation — was immer sich noch ergeben mag. Und strenggenommen geht es um stalinistisches Vorverurteilen, wie es in der DDR auf dem 11. Plenum des ZK gegen Biermann selbst üblich war.
Was hat Biermann plötzlich zum Denunzianten gemacht? Er beruft sich auf sichere Quellen im Freundeskreis und freut sich, „vor Gericht“ die Sache zu klären. Aber nicht vor der Fernsehkamera oder unter vier Augen mit Anderson. Daß es massenweise Stasi-Unterlagen über ihn gibt, ist für Anderson keine Frage, daß er selbst als Quelle „bis unter die Bettdecke ausgehorcht worden ist“, auch. Und er weiß von Stasi-Mitarbeitern in seinem Freundeskreis zu berichten, die sich ihm nach der Wende offenbarten. Eigene Stasi-Kontakte leugnet er nicht, er wurde „massenweise angeworben“. Was in sein Idol Biermann gefahren ist, weiß er nicht zu verstehen, und da steht er nicht alleine. Eine von Kennzeichen D provozierte Begegnung der beiden verlief wie ein Live-Bericht vom Kalten Krieg zweier Generationen als schrecklicher Vorbote eines literarischen Bandenkrieges am Prenzlauer Berg. Aber noch schlimmer: Wenn nur aufgrund von Gerüchten öffentliche Anschuldigungen in diesem Ausmaß um sich greifen, dann haben alle die verloren, die auf Akteneinsicht pochen. Wolf Biermann hat vernünftigen Aufklärungsbemühungen über die Stasi-Vergangenheit einen Bärendienst erwiesen. Welche Unterlagen auch immer auftauchen werden, er ist ein peinlicher Denunziant. Aber wer verleumdet hier wen und bestraft am Ende sich selbst? Holger Kulick
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