: Streetwork für Knackis
■ Limbach will Dealer und Junkies im Knast separat unterbringen/ Herbe Kritik am neuen Drogenbericht
Tegel. Die Zahl der drogenabhängigen Gefangenen in der JVA Tegel steigt weiter. Von bis zu 500 DrogenkonsumentInnen im Knast gehen Bedienstete inzwischen aus. Nun will Justizsenatorin Jutta Limbach dem Problem erneut zu Leibe rücken. Sobald die Frauenhaftanstalt Plötzensee nach Lichtenberg umgezogen ist, werden des Drogenhandels verdächtigte Gefangene dorthin verlagert. Auch Drogenabhängige sollen dann in Tegel gesondert untergebracht werden. Außerdem ist eine spezielle »Arbeitsgruppe Drogen« vorgesehen, die Gefangene sowie Pakete und Lieferungen auf Drogen kontrolliert. Auch Spürhunde des Zolls werden künftig stichprobenartig zur Durchsuchung eingesetzt.
Diese Maßnahmen gehen aus dem jüngsten Drogenbericht der Justizverwaltung hervor, der jetzt dem Rechtsausschuß vorliegt. Bei einer von Bündnis 90/ Grüne beantragten Anhörung zahlreicher Experten zu »Drogen und Aids im Knast« vor dem Rechtsausschuß wurde Limbach vorgestern allerdings heftig kritisiert.
Als »Ausdruck großer Hilflosigkeit« bezeichnete Ika Klar, Vorsitzende des Vollzugsbeirats, das Papier. Die Justiz könne nicht ernstlich einen Drogenkrieg führen. Klar forderte eine gänzlich neue Drogenpolitik, denn »solange wir nur auf das Strafrecht setzen, kommen wir nicht weiter.« Teilanstaltsleiter Bernd Müller berichtete von verheerenden Zuständen in seinem Haus. Es werde geklaut, geplündert, geraubt, Angehörige würden erpreßt und überfallen, um an den Stoff zu kommen. »Wir sind der steigenden Kriminalität kaum noch gewachsen.« Neben einer Drogenbekämpfungsabteilung forderte Müller, die Zügel im Vollzug weiter zu straffen.
Gegen eine Verlagerung des Drogenproblems in einen »Hochsicherheitstrakt« wandte sich ein Justizvollzugsbediensteter. Statt dessen sollte das Betreuungs- und Behandlungsangebot verstärkt werden. Eine lückenlose Kontrolle des Drogenhandels in Tegel scheint indes nicht möglich. »Warum sollten wir das Problem auch ausgerechnet im Knast in den Griff bekommen?« konstatierte Berlins Drogenbeauftragter Wolfgang Penkert. 10.000 Fahrzeuge jährlich fahren in Tegel ein und aus, 17.000 mal im Jahr verlassen Gefangene den Knast, und noch öfter kommen Besucher herein. Eine intensivere Durchsuchung von Bediensteten und Besuchern, so ein Vertreter des Anstaltsbeirats, sei nicht zumutbar.
Penkert forderte, bei der Trennung von Abhängigen und nicht Abhängigen den umgekehrten Weg zu gehen: Gefangenen, die drogenfrei leben wollen, sollte ermöglicht werden, drogenfreie Räume zu bekommen. Ferner forderte Penkert neue Wege in der JVA: Streetworker, um nicht nur Insassen, sondern auch Bedienstete neu zu orientieren sowie eine Ausweitung des offenen Vollzugs. Nur mit der Perspektive auf baldige Entlassung hätten Süchtige Anlaß, clean zu bleiben.
Etwa 250 der Berliner Gefangenen sind HIV-infiziert, schätzt die Berliner Aids-Hilfe (BAH). Trotz zahlreicher Stimmen dafür scheint eine Durchsetzung von Spritzenautomaten in Tegel derzeit nicht möglich zu sein. Uwe Wüst von der BAH forderte, Substitution im Gefängnis auszuweiten und die ärztliche Versorgung an Aids Erkrankter zu verbessern. Jeannette Goddar
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