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ARTUR, BERLINOIDAnonymer Romantiker

■ Von einer, die vorüberging/ Romanze mit Kopierer

Artur traf sie im Fotokopierladen. Sie trug diese rot gebundenen Nachdrucke des Kursbuchs unter dem Arm, auf dünnes Papier gedruckt. »Dieses papierne Zeitalter!« stieß Artur durch die Zähne hervor. Sie drehte sich kurz um und musterte ihn mit einem herzzerreißend unzüchtigen Blick. »So sehen Frauen aus, mit denen man gerne in Bistros versackt«, sinnierte Artur, »denen man seine größten Geheimnisse erzählt, obwohl sie gar nicht danach fragen.« »Es dauert nicht lange«, sagte die Unbekannte, »falls du auf den Kopierer wartest, ich habe nur fünfundzwanzig Seiten, 'n Aufsatz über Benjamin.«

»Hoho«, wollte Artur schon kommentieren, diese Anmache auf übliche Art, und dabei wie von Bronchitis gebeutelt auszuatmen, mit zusammengekniffenen Augen, das halten manche für Lachen, aber er kam nicht dazu, denn die Kopiererin fügte noch hinzu: »Zu seinen Gedanken über das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit«, und sie hatte begonnen, ihr Kursbuch Seite um Seite dem Kopierer anzuvertrauen.

Dann gingen sie hinüber ins Wirtshaus, und zwischen Café au lait und Ostborn versuchten sie bis in die samtene Nacht hinein, sich gegenseitig das Recht auf Träume und die Pflicht, sie zu verwirklichen, begreifbar zu machen. Ihre temperamentvollen Ausführungen erschütterten Artur, sie konnte so erzählen, daß er nicht aufhören konnte, ihr zuzuhören, und ihrer beiden Augen begannen zu leuchten, und ihre Blicke wurden jung.

Dann und wann treffen sie sich in einer dieser Fußgängerzonen, zufällig. »Artur«, lächelte sie beim letzten Mal, »ich mußte dich anonymen Romantiker kennenlernen, um zu erkennen, daß ich weder träume noch verrückt oder tot bin«, und sie hatte ihm eine Musikkassette in die Hand gedrückt. »Bob Dylan: Romance in Durango«, konnte Artur im trüben Schein der Untergrundbahn entziffern. Clemens Walter

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