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■ DIE BESTEN KELLNER DER STADTAuf die Knie für die Pastete

Martin von Halem, Zimmermann, Lebenskünstler und Restaurator, ist Gründer, Wirt und Kellner in einer Person. Neben sich eine weitere Persönlichkeit zur Bedienung der Gäste zu beschäftigen, ginge schon allein wegen der Größe des »Odessa« (in Berlin-Mitte, Steinstraße) nicht.

Der Raum ist fast völlig leer. Zwei Tische, wie hereingestellt, ohne ihren Platz gefunden zu haben, führen ein stilles Eigenleben. Keine lauten Gespräche, keine Musik. Der einzige Gemütlichkeit ausstrahlende Stuhl, ein rotes Sesselchen, steht zu nah an jener Tür, die durch die Aufschrift »privat« eine deutliche Grenze markiert; seine Benutzung kommt nicht in Betracht. Unter der Decke ein Kronleuchter. Hinter der Theke ein hagerer Mann, eine verletzlich, aber unerschütterbare Souveränität strahlt von ihm aus. Hager, zurückhaltend, mit einem Blick, der den Abstand wahrt, den Gast in seinen Rechten und Pflichten verwaisen läßt. Wer sich daneben benimmt, wird dezent aber bestimmt (und garantiert unüberhörbar; der Raum ist klein) auf Regelverletzungen hingewiesen, ob es sich um ältere Herren mit ihrem infantilen Gehabe handelt, die die Klotür aufließen, oder Mittelalterliche, die es als Zumutung empfanden, ihre Füße nicht auf die Stühle stellen zu dürfen. Oder jene, die ihre belegten Brote nicht zur Gänze verspeisten, einen Happen übrigließen, oder gar die gesamte Kruste aussparten.

Überhaupt die Brote. Es gibt keinen Hinweis auf ihre Existenz. Dabei wartet im Raum hinter dem öffentlichen Zimmer, ebenfalls von einem Kronleuchter erhellt, eine köstliche belgische Leberpastete auf den Besucher.

Aber um in ihren Besitz zu kommen, muß man erst das Gefühl überwinden, sich ihrer würdig zu erweisen. Jede Bestellung wird mit einer Sorgfalt ausgeführt, der etwas Lebensnotwendiges anhaftet, und es kann einem wie eine Anmaßung vorkommen, von diesen kleinen Kostbarkeiten der Bedienungshandreichung zu profitieren. Für ein Pastetenbrot einen Gast beim Kniefall zu sehen, eine Vorstellung, die Martin von Halem auch schmeichelt. Schräg ist der Grat, den er hier errichtet hat. Ein halbprivater Raum in wunderschönem gekühltem Rot gehalten. Decke und Türen andersfarbig abgesetzt; entweder man ist hier der Mensch, der man ist, oder man ist hier nicht. Fritz Engel

Odessa, Berlin-Mitte, Steinstraße. Mo.-Sa. 18-2 Uhr

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