: Serbisches Sandzak gegen Belgrad
Am Sonntag wollen die Muslime des Sandzak über Autonomie im serbischen Staat abstimmen ■ Aus Budapest Roland Hofwiler
Am Wochenende wird Jugoslawien um eine neue „Republik“ reicher sein. So wollen es zumindest die moslemischen Führer des Sandzak. Sie rufen die 250.000 Muslimanen des serbischen und 150.000 Muslimanen des montenegrinischen Sandzak am Sonntag zu einem Referendum auf, in dem über eine „Lostrennung des Gebiets von Serbien“ abgestimmt werden soll. Begründet wird der Schritt von der muslimanischen „Partei der demokratischen Aktion“ als „Gegenreaktion gegen die Ausrufung autonomer serbischer Gebiete in Bosnien und Kroatien.“ Wenn die Serben autonome Gebiete in anderen Republiken ausrufen, so die Argumentation der Muslime, „dann können wir dies auch in Serbien“.
Selbstverständlich wollen die Belgrader Medien von einer solchen Argumentation, obwohl in sich logisch, nichts wissen: Sie führen drohende Zusammenstöße zwischen Muslimanen und Serben an, die durch die „staatsfeindlichen Akte antijugoslawischer Moslemkreise“ heraufbeschworen würden. Die Tageszeitung 'Politika‘ titelte: „Es kommt zum Blutvergießen im Sandzak“.
Auszuschließen ist dies in der Tat nicht. Starke Polizei- und Truppenverbände der Bundesarmee wurden gestern in Richtung Novi Pazar, des Hauptortes des Sandzak, in Marsch gesetzt. Das offizielle Belgrad erklärte das Referendum, das man mit „allen Mitteln“ zu verhindern wisse, für illegal. Doch die Muslimanen scheinen sich davon nicht einschüchtern zu lassen. Sie fühlen sich in ihrem Unabhängigkeitsstreben von Europa gestärkt. In der Friedensdeklaration von Den Haag vom 18. Oktober heißt es denn ausdrücklich, daß die Republik Serbien Autonomie- Rechte den Kosovo-Albanern, den Ungarn der Wojwodina und den Sandzak-Muslimanen zugestehen muß, will es für seine eigene Minderheit in Bosnien und Kroatien Autonomie-Rechte verwirklicht sehen. Bekanntlich haben in Kroatien die Serben in den Enklaven Krajina, Banja und Ostslawonien für sich „autonome serbische Gebiete“ deklariert, in der Republik Bosnien entstanden kürzlich die „autonomen Serbenregionen“ Banja Luka, Sokolac, Gacko, Bijeljina und Cajnica.
Dehalb sehen viele Muslimanen, die in der Republik Bosnien mit 47 Prozent der Einwohner die Mehrheit stellen, sich von Serbien herausgefordert, denn die serbische Strategie zielt auf eine Zerstörung Bosniens. Es schmerzt sie auch, daß die serbischen Nationalisten die Muslimanen für nichts anderes als „islamisierte Serben“ halten.
Einheit aller Muslime?
Viele Muslimanen fühlen sich an die Zeit des Zweiten Weltkrieges erinnert, als Serben wie Kroaten Muslimanen zwangsassimilieren und sogar umbringen ließen. Razim Rajic, Sprecher der „Partei der demokratischen Aktion“ von Novi Pazar, macht kein Hehl daraus, daß der Sandzak in einen unabhängigen bosnischen Staat eingegliedert werden müßte, sollten Teile Bosniens an Kroatien und Serbien abzutreten sein. Auch Bosniens Präsident Alija Izetbegovic, der immer für das friedliche Zusammenleben von Muslimanen, Serben und Kroaten in Bosnien warb, denkt angesichts des Auseinanderfallens seines Staates nun an eine solche Perspektive.
Der 46jährige Jakub efendi Selimski, als Reis-ul-ulema das Oberhaupt der in Jugoslawien lebenden Muslime, meldete sich dieser Tage ebenfalls in Zeitungsinterviews zu Wort. Grundtenor seiner Überlegungen: Die Zeit sei vorbei, daß man sich als Moslem in Jugoslawien zu schämen hatte. Nun sei der Zeitpunkt gekommen, alle Gläubigen zu vereinigen, falls möglich auch territorial. Für den Reis leben in Jugoslawien an die fünf Millionen Moslems, 2,5 Millionen Muslimanen in Bosnien und dem Sandzak und eine ebenso große Gemeinschaft unter den Kosovo-Albanern. Für ihn ist eine staatliche Gemeinschaft zwischen Bosniern und Albanern durchaus denkbar.
Ein Gedanke, der allein als solcher in Belgrad Angst und Schrecken hervorbringt. Selbst liberale serbische Zeitungen sehen in den Gedankenspielen von Alija Izetbegovc und Jakub efendi Selimoski den Versuch, das serbische Volk „in seiner Einheit zu zerstückeln“.
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