Möllemann präsentiert Energiekonzept

■ Der Kampf der Kohle ums Überleben geht weiter/ Entlassungen im Bergbau kein Tabu mehr/ Energieverbrauch wird bis 2010 kaum sinken/ Umweltschutz soll Chance erhalten

Bonn (ap/dpa/taz) — Das zum Jahresende angekündigte gesamtdeutsche Energiekonzept der Bundesregierung gewinnt langsam an Kontur. In einem 120seitigen Entwurf hat Wirtschaftsminister Jürgen Möllemannn (FDP) den Kabinettskollegen seine energiewirtschaftlichen Essentials vorgelegt. Darin werden Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Schonung der Ressourcen zu den Leitlinien der künftigen Energiepolitik erkoren. Möllemann will den Spagat zwischen Ökonomie und Ökologie wagen und die nationale Energieversorgung mit dem Umweltschutz verbinden: Die Kohleförderung in West- und Ostdeutschland soll vermindert, erneuerbare Energien stärker genutzt und schärfere Bestimmungen zur Energieeinsparung erlassen werden. Das Wirtschaftsministerium will sich zudem weiterhin eine Option für die Nutzung der Kernenergie offenhalten. Über den Bau neuer AKWs soll Mitte der 90er Jahre entschieden werden.

Trotz des tobenden Streits um den Abbau der Kohlesubventionen will Möllemann weiterhin dem fossilen Energieträger an den Kragen. Zwar wird der Energieverbrauch im Jahr 2010 mit 500 Millionen Steinkohleeinheiten (SKE) etwa so hoch eingeschätzt wie im letzten Jahr; rückläufige Anteile bei Kohle und Mineralöl sollen jedoch durch Erdgas und erneuerbare Energieträger kompensiert werden.

Das vorgelegte Papier läßt jedoch offen, um welche Menge die Gesamtförderung der Steinkohle und die zur Verstromung eingesetzte Menge bis 2005 sinken soll. Der Minister will dazu noch Gespräche mit der Bergbauindustrie und Stromwirtschaft führen. Nach Möllemanns letzten Plänen soll die jährliche Gesamtförderung von 70 auf 50 Mio. Tonnen gedrosselt und die Staatshilfen von jährlich rund 10 Milliarden Mark drastisch reduziert werden. Die dazu notwendige Strukturanpassung soll zwar sozial flankiert werden, Entlassungen dürften aber kein generelles Tabu bleiben, so das Ministerium. Angesichts des geringen Durchschnittsalters der Bergleute von 33 Jahren sei ein Beschäftigungsabbau auch nicht mehr über die „Vorverrentung“ zu meistern. Auch die Förderung der umweltbelastenden Braunkohle wird von knapp 250 Mio. zur Mitte des Jahrzehnts auf 150 Mio. Tonnen heruntergefahren. Die Zahl der Beschäftigten, die in diesem Jahr bereits von 107.000 auf 80.000 sank, soll auf unter 50.000 abgebaut werden.

Im Hinblick auf eine weitere Verringerung der Luftschadstoffe wird in dem Energiekonzept erneut die Position des Umweltministeriums kritisiert. Statt einer CO2-Abgabe im Alleingang soll es die von der EG- Kommission vorgeschlagene kombinierte Energie- und CO2-Steuer geben, die auf alle fossilen Energieträger erhoben wird. Der Steuersatz wird ab 1993 bei 3 Dollar pro Barrel Öl liegen und soll bis zum Jahr 2000 auf 10 Dollar steigen. Das Steueraufkommen soll für steuerliche Entlastungen sowie Umweltschutz- und Klimaschutzmaßnahmen genutzt werden, heißt es in dem Papier. Ergänzend plant das Wirtschaftsministerium Maßnahmen zur Förderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für erneuerbare Energieträger.

Bei der Nutzung der Kernenergie soll weiterhin die Sicherheit uneingeschränkten Vorrang vor der Wirtschaftlichkeit genießen. Mit der Novellierung des Atomgesetzes will das Ministerium neben einer Wiederaufbereitung abgebrannter Kernbrennstäbe die direkte Endlagerung als gleichrangige Entsorgungslösung festschreiben. Dort geht man davon aus, daß die bestehenden Kernkraftwerke bis zum Ende ihrer Nutzungsdauer in Betrieb bleiben werden. Über Ersatzkapazitäten soll Mitte der 90er Jahre neu entschieden werden.

Mit der Vorlage Möllemanns steht die Energiepolitik vor einem heißen Herbst. Die grundlegenden energiekonzeptionellen und umweltpolitischen Fragen sind selbst im Kabinett heftig umstritten; Stromwirtschaft, Bergbau, Ölindustrie und die Gewerkschaftslobby dürften bald ihren Protest anmelden es