piwik no script img

Heißer Herbst im Revier?

■ Bergleute streiken, Stahlkocher demonstrieren. Ministerpräsident Rau steht unter Druck, er soll die Fusion von Krupp und Hoesch verhindern. Aber eigentlich sieht es im Revier gar nicht so schlecht aus:...

Heißer Herbst im Revier? Bergleute streiken, Stahlkocher demonstrieren. Ministerpräsident Rau steht unter Druck, er soll die Fusion von Krupp und Hoesch verhindern. Aber eigentlich sieht es im Revier gar nicht so schlecht aus: Der große Strukturwandel ist schon geschafft.

Genosse Rau, wenn diese Landesregierung es wieder zuläßt, daß Hoesch- Arbeiter in Not geraten, dann muß ich mich schämen, daß ich 30 Jahre lang dieser Partei die Treue gehalten habe.“ Die Worte eines Hoesch-Vertrauensmannes fielen vor einer Woche. Das Mißtrauen, die Landesregierung habe mittels der Westdeutschen Landesbank (West LB) die „feindliche Übernahme“ von Hoesch durch Krupp mit eingefädelt, sitzt auch heute nach wie vor tief. Die Stimmung faßt Betriebsrat Jochen Walbersdorf so zusammen: „Hier in Dortmund glaubt jeder, daß die Landesregierung in diesen Deal — unterschiedlich tief — verstrickt ist.“ Genau das bestreitet Ministerpräsident Johannes Rau vehement — mit mäßigem Erfolg. Ob sich daran heute bei seinem Gespräch mit der Dortmunder IG-Metall-Ortsverwaltung und Hoesch- Betriebsräten etwas ändert, steht dahin. Der Besuch des Ministerpräsidenten vor Ort zeigt jedenfalls, wie ernst er die Proteste gegen den Krupp-Coup inzwischen nimmt, den der Düsseldorfer Wirtschaftsminister zunächst als „durchaus positiv“ bezeichnet hatte.

Aus gutem Grund, denn die Front der Kritiker reicht über die Stahlarbeiter längst hinaus. Am Donnerstag ließ selbst der Präsident der Dortmunder Industrie- und Handelskammer (IHK), Fritz Jaeger, an der Fusion kein gutes Haar. Gegen die Landesregierung, die über die landeseigene West LB den Deal noch stoppen kann, braue sich in Dortmund „so etwas wie Volkszorn zusammen“.

Beileibe nicht nur in Dortmund. Tatsächlich brennt es an vielen Stellen in NRW. In den Kohlegruben im östlichen Revier ebenso wie auf der Zeche Sophia Jakoba in Hückelhoven, nahe der niederländischen Grenze. Während Rau sich in Dortmund stellt, spielt sein Wirtschaftsminister Günter Einert am morgigen Sonntag auf der Belegschaftsversammlung in Hückelhoven den Feuerwehrmann. In beiden Fällen geht es um Arbeitsplätze, um viele Arbeitsplätze, deren drohender Verlust die Menschen in einer bisher kaum gekannten Weise gegen die Politik aufbringt. Es mag dahingestellt sein, ob es tatsächlich junge Bergleute gibt, „die willens sind, Gewalt anzuwenden, Steine zu werfen und Autos anzuzünden“, wie der Betriebsratsvorsitzende der Ruhrkohle AG, Hermann Blatnik, gewarnt hat. Aber kaum zu leugnen ist, daß sich in den bedrohten Zechen unheimliche Wut angestaut hat. Schon macht das Wort vom „heißen Herbst im Revier“ die Runde, unterfüttert mit bundesweit ausgestrahlten Bildern streikender Bergleute und demonstrierender Stahlarbeiter. Es scheint, als befinde sich eine von Kohle und Stahl dominierte Region im Abwehrkampf. Doch das Bild trügt. Tatsächlich ist die Lage des Reviers wesentlich besser, als die Fernsehbilder es suggieren. Für Oktober erwartet das Landesarbeitsamt erstmals seit Juni 1982 wieder eine Arbeitslosenquote unter zehn Prozent.

Die Region hat einen gewaltigen Strukturwandel hinter sich. Zwar hat der krisenanfällige Grundstoffsektor noch immer große Bedeutung, doch von einem „dominierenden beschäftigungspolitischen Faktor“ kann man schon längst nicht mehr sprechen. Mittlerweile beschäftigen die Banken und Sparkassen in NRW mit 147.850 Menschen wesentlich mehr als der Bergbau. In Reviermetropolen wie Essen oder Dortmund, wo sich Anfang der 60er Jahre noch Förderturm an Förderturm reihte, fährt schon seit Jahren kein einziger Bergmann mehr ein. Über 60Prozent arbeiten hier inzwischen im Dienstleistungsbereich. Insgesamt ging die Beschäftigung im Steinkohlebergbau der alten Bundesländer von rund 600.000 im Jahr 1957 auf heute noch etwa 130.000 aktive Bergleute zurück. Dagegen machen sich die jetzt diskutierten Anpassungen auf den ersten Blick geradezu mickrig aus. Die Industriegewerkschaft Bergbau und Energie hat signalisiert, daß sie bereit sei, eine Reduzierung der Fördermenge von jetzt 70 Mio. Jahrestonnen auf 55 Mio. Tonnen im Jahr 2005 mitzutragen. Das kostet mindestens 30.000 Bergleute den Job. Wenn es langsam geschähe, ließe sich das noch halbwegs sozialverträglich regeln. Doch Bundeswirtschaftsminister Möllemann will mehr — angesichts der immensen Subventionen für die Steinkohle durch Steuerzahler und Stromkunden: Er möchte die Menge auf 45 Mio. Jahrestonnen drücken — und zwar schnell.

Setzte Möllemann sich durch, das schnelle Ende von einigen Bergwerken wäre unumgänglich. Dazu gehört die Zeche Sophia Jacoba, die derzeit noch 4.200 Menschen beschäftigt. Nach Berechnungen einer Prognos-Studie würde die Arbeitslosigkeit im gesamten Kreisgebiet rund um Hückelhoven dann von derzeit sieben auf 20Prozent ansteigen. Eine Verlegung der Kumpel von der holländischen Grenze auf andere Zechen im Revier ist auch keine Alternative, weil die nächstgelegene Zeche etwa 120km entfernt ist. Das macht die Situation in Hückelhoven so brisant.

Mit ähnlich dramatischen Konsequenzen müßten einige kleinere Bergbaustädte im östlichen Revier rechnen — etwa das 48.000 Einwohner zählende Bergkamen. 52Prozent der 18.800 Beschäftigten in dieser Stadt verdienen ihr Geld auf den beiden am Ort ansässigen Zechen „Haus Aden“ und „Monopol“. Besonders „Monopol“ ist hochgradig gefährdet. Weil immer noch viele Bergleute in Dortmund wohnen, träfe der Möllemann-Plan auch die östliche Ruhrmetropole. Entsprechend aufgeregt reagierte die sozialdemokratische Stadtspitze, als sie vom Krupp- Coup erfuhr. Denn bei einer Zwangsehe stünde der gesamte Hoesch-Stahlstandort in Dortmund zur Disposition. Zumindestens die Flüssigphase wäre kaum zu halten, 5.000 bis 7.000 Arbeitsplätze zusätzlich möglicherweise für immer futsch. Für Dortmund, wo seit 1985 durch große finanzielle Anstrengungen ein Technologiezentrum und -park mit jetzt etwa 3.000 neuen Arbeitsplätzen geschaffen wurde, wäre eine solche Entwicklung ein schwerer Rückschlag. Die Bergleute in Hückelhoven haben die „Schnauze endgültig voll“ und wollen von der Politik in Bonn und Düsseldorf Taten sehen.

Dem Dortmunder OB geht es nicht viel anders. Er verlangt von Düsseldorf, daß die Hoesch-Übernahme über die West LB gestoppt wird. Geredet worden sei genug, politische Tricks unerwünscht. Samtlebe an seine Düsseldorfer Genossen wörtlich: „Versucht es gar nicht erst, uns über den Tisch zu ziehen.“ Walter Jakobs

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen