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Promotion ging in die Hose

■ taz-Kritiker in einem Stakkato von Schicksalsschlägen in einer Vollmond-Nacht

Manchmal kommt eben alles zusammen. Da reißt sich der Kritiker unter Aufbietung aller selbstdisziplinären Kräfte vom Fernseher weg, um am letzten Mittwoch pünktlich zum Dreier-Konzert im Wehrschloß in Hastedt zu erscheinen, und was passiert? Zunächst gar nichts. Die Mehrzahl des Publikums bleibt einfach zu Hause und guckt weiter Werder. Am Eingang fordert ein junger Mann den merklich genervten Journalisten unmißverständlich auf, seinen Obulus zu entrichten. „Du stehst nicht auf der Gästeliste!“ Eine Intervention beim freundlichen Veranstalter, der gerade Vater geworden ist, schafft Klärung. Dann sofort der nächste Schicksalsschlag. Die Londoner Palookas, eine Fun-Punk-Band, treten gar nicht erst auf. Dabei hätte auf der Kulturseite an dieser Stelle ein Interview mit Jowe Head stehen sollen, dem Methusalem der internationalen Punkszene. Das hätte so richtig lustig werden können, denn Jowe, das alte Haus, hat immer etwas zu erzählen. Fehlanzeige also, wenig später die Meldung, daß Werder noch ein Tor eingefangen hat. Es ist zum Heulen.

Was bleibt noch zu berichten? Vielleicht ein Gespräch mit Jack Endino, dem Frontmann bei Skin Yard. Als Interviewpartner zwar nur zweite Wahl, aber immerhin hat er ja in Seattle eine ganze Musikrichtung aus der Taufe gehoben, so wird gesagt.

Nach einigen Bieren und netten Worten mit langsam eintrudelnden Bekannten baut sich ein Jüngling mit Schirmmütze und instabilem Blick vor dem Kritiker auf. „Bist Du das?“ kommt als harsche Frage. Der Tourmanager sei er, und wer mit Herrn Endino sprechen wolle, müsse zunächst bei ihm lernen, was gefragt werden dürfe und was nicht. Punk oder nicht! Schließlich hätte er, der Manager, dafür zu sorgen, daß die Belange seines Klienten „promotion-mäßig“ richtig vertreten würden. Die entsetzten Aufschreie des Kritikers, wir seien doch hier nicht in der DDR, „schon mal 'was von Pressefreiheit gehört?“ und „was gefragt wird, bestimme ich“, begegnet der Schnösel mit wirrem Augenspiel. „Dann eben nicht“, ist völlig unerwartet der hundertprozentig übereinstimmende Konsens der beiden.

Bericht vom Konzertabend vorletzter Teil: Auftritt eines Quartetts aus Minneapolis mit dem wunderhübschen Namen Bone Club. Es ist schon spät, des Kritikers Wohlwollen ist erschöpft, professionelles Arbeiten nicht mehr sein Anliegen. Einmal kurz hingehört und für zu leicht befunden: Die melodische Ami- Kombo ist etwas für Schnittlauch- TeetrinkerInnen.

Konzertabend letzter Akt: Mitternacht ist längst Geschichte, auf der Bühne tobt Skin Yard mit dem besagten Mr. Endino und einem tollen Drummer Barret Martin. Gitarren-dominiertes Liedgut mit harten Riffs und viel Drive nach vorn. Mehr war an Rezension nicht drin, der Abend musikalisch und journalistisch voll daneben, nur die Bekannten waren nett wie immer.

Auf dem Heimweg dann ein Blick zum Himmel und die Erleuchtung. Es war Vollmond.

Jürgen Francke

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