: Freier Fall nach Grefrath
■ Vom Aufstiegsfavoriten zum Wackelkanditaten: Der Eishockey- Zweitligist EHC Dynamo muß um die Relegationsteilnahme bangen
Hohenschönhausen. Im Eisstadion des Zweitligisten EHC Dynamo herrscht gespannte Stimmung. Wo vor einem Jahr noch die erstklassige Eishockey-Prominenz aus Düsseldorf oder Köln ihre Visistenkarte abgab, fiebern die Fans nun dem Auftritt des Grefrather EC entgegen.
Mit tollen Leistungen beim Berliner Sommerturnier Ende August kürten sich die Ostberliner selbst zum Favoriten für den sofortigen Wiederaufstieg in die Eliteklasse. Doch mittlerweile, nach bitteren wie dummen Punktverlusten gegen Sauerland, Essen oder Ratingen, ist von der Sommerfrische nichts mehr zu spüren. Eher die Angst, den fünften Platz in der Gruppe Nord, sprich: die Relegationsrunde zum Oberhaus zu verpassen.
Mit Pfiffen quittierte die treue Dynamo-Familie das schwindsüchtige Treiben ihrer Eisbären beim letzten Heimspiel gegen die Biedermänner aus Essen-West (3:3). „Bei uns wurde nur darüber geredet, ob wir zweistellig gewinnen“, flucht Dynamo-Cheftrainer Hartmut Nickel. Gefruchtet hat es freilich wenig. Fast bei jedem Match vor heimischem Publikum darf der Gast das erste Tor schießen. Was folgt, ist K(r)ampf, denn kaum sind die spielerisch durchgehend unterlegenen Klassenkameraden in Front, verteidigen sie ihren Vorsprung mit allen, auch unlauteren Mitteln. Nickel: „In der zweiten Liga wird nicht so schnell gespielt, dafür aber sind die Räume enger, und es wird viel mehr mit dem Stock gearbeitet.“
Jan Schertz, Mario Naster oder Guido Hiller beispielsweise, allesamt Nationalstürmer des vereinten Deutschland, bekommen 1991/92 kaum einen Puck, auch wenn sie über das Eis fegen wie die Witt. Zudem blieb der hochgelobte, unbesehen verpflichtete Kanada-Import Jose Charbonneau bisher jeden Beweis seiner Klasse schuldig. Nur sein Landsmann Marc Jooris überzeugte die Fans. Als Dankeschön, so fürchtet man an der Konrad-Wolf-Straße, will ihn Manager Stefan Metz vom BSC Preussen aus Charlottenburg mit viel Geld ans andere Ufer der Spree locken. Schon wegen des kaufkräftigen Bruders aus der ersten Liga ist der EHC zum Erfolg verurteilt. Was aber geschieht, wenn der eisige Super-GAU eintritt, Dynamo das Klassenziel verfehlt? „Es wäre eine Katastrophe, wenn wir nicht aufsteigen würden“, meint Präsident Dieter Waschitowitz. Für den Ernstfall hat sein Klub kein Konzept. „Unser Hauptaugenmerk gilt der ersten Liga“, sagt der Präsident, der einen Drei-Millionen-Etat verwaltet — weit mehr als alle anderen Liga-Konkurrenten.
Nach dem hart erkämpften 6:1-Heimsieg über Schlußlicht Grefrather ES am Freitag darf man im Sportforum wieder etwas optimistischer dreinblicken. Trotz der obligatorischen 0:1-Gästeführung bis zur 38. Minute hat gerade die Schlußphase gezeigt, daß die Dynamos noch über Kampfkraft und Spielwitz verfügen. „Ich freue mich riesig, daß die Fesseln abgelegt wurden“, kommentierte Trainer Nickel. Auch die Fans werden dankbar sein. Denn in den letzten Wochen überstiegen die Kosten für Herztropfen die Eintrittspreise bei weitem... Jürgen Schulz
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