: Wolf Biermann zeigte Wolf Biermann
■ „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“ / Wolf Biermann mit Liedern, Büchern und Platten im Goethe-Theater
Mann mit Gitarre
und Bart
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Der Schuft. Da sitzt er wie er immer saß, mit Wasserglas und Gitarre, zwar grau- und kurzhaarig jetzt, aber immer noch mit den braunen Gummisohlen-Schuhen zur schwarzen Hose, sieht rasiert aus und gut, macht, wie er immer macht, aber wie ganz neu, und nicht nur ich sitze auf der Stuhlkante und halte den Atem an. Mucksmäuschenstill war's, immer noch, auch an den Stellen, die inzwischen Stellen sind, wo wir von den Konzerten und Platten jedes Stöhnen, jeden Schrei kennen. Und der Biermann singt und sagt uns: „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu.“
Ich will euch ein neues Lied zeigen. Stimmt. Er zeigt es her, er singt es nicht vor. Er knurrt und flüstert, droht und zärtelt, kann glockenklar hochsingen, kehlig werden, begütigend und richtig dreckig. Die Gitarre macht, wie er will: pocht, schreit, knallt, singt, vibriert. Schweigt.
Mit dem Publikum und ihm ist es wie in einer langen Ehe: Wie er kindlich die Hand vor Mund und Bart hält, oder verschmitzte Fältchen kriegt, wie er aus schmalen Augen ins Weite guckt, versonnen, wie er fragend guckt, die Schultern hochzieht: Zum Erkennen. Das macht er immer. Genau so. Aber weil es seine Körpersprache ist, weil er das ist, deshalb stimmt es so. Jedes Mal neu.
Wieder kriegte er das Goethe-Theater voll. Wirbt dreist und mehrfach, Bücher, Platte, CDs zu kaufen, die vertreibt er jetzt selbst, denn keine Werbung machen kann ich selbst auch. Versprach, schamlos Lügen drauf zu signieren („Dein Wolf“) und tat's, in Spiegelschrift. Und entwaffnete: Werbung Nicht nur aus Geldgier, nein, auch aus Ruhmesgier!“ Er sagt Sie, sagt Du zu uns. Fremd sein kann man sich immer, mit Du und Sie.
Biermanns bester Manager ist Biermann. Im Publikum sitzt seine, unsere Generation, einige ältere Herrschaften auch („weil er den Büchner-Preis gekriegt hat“), die haben's schlechter, verstehen weniger, kennen nicht seine Lebensgeschichten, seinen Kirschbaum, seine Frauen, seine Kinder. Wenige Jüngere sitzen vorn. Die spricht er prompt an: Wer hat Euch denn hierhergeprügelt? Ich freu' mich ja... Und dann, beim Hugenottenfriedhof, geht es um Johannes Becher: Kennt Ihr den? Nein? Aber 'Auferstanden aus Ruinen'? Nein? Die DDR-Hymne? Auch nicht? HaHaHaHa! Das hat er davon!!“
Zuerst Lieder über Deutschland, neue („Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“) und bekannte: Als ich in Israel gesungen habe 'Ich möchte am liebsten weg sein — und bleibe am liebsten hier', da haben sie gesagt: das hast Du für uns geschrieben!
Auch über Russland. Daß die verfluchte Mauer weg ist, das verdanken wir den Russen mehr als uns selber. Applaus. Zweimal haben sie uns gerettet: Als ihre Panzer gegen Nazi-Deutschland rollten und als ihre Panzer nicht rollten, gegen Leipzig. Und dann die deutsche Besoffenheit: Wie Politiker ihren Triumph über einen kranken Hüttenhund feiern, als hätten sie einen Drachen erschlagen! Für die drei Toten beim Putsch hat er „Kaddisch“, das jüdische Totengebet, vertont. Oder: „Russisches Fallobst“, um einen Bergarbeiter-Streik um Seife in den 60er Jahren, sprachlich und musikalisch ein richtiger, wunderbarer Biermann. Das hat den Refrain „Was weiß ich schon“ — denn: Ich will nicht so tun, als hätte ich da in meinem Blute gelegen! Das war ganz weit weg, das wollen wir vor lauter linker Begeisterung nicht vergessen! Und tut doch ganz weh.“
Thema Golfkrieg: Ich bin immer noch meiner Meinung. Mag sein, daß sie verkehrt war. Daß viele Freunde anderer Meinung sind, ist mir nicht schrecklich. Wie könnte es das sein in so einer Frage? „Und zu Sascha Andersen?“ fragt spitz ein einziger Publikums-Mann dazwischen; den DDR-Autor hat Biermann in seiner Büchner-Preisrede als Sascha Arschloch und Stasi-Spitzel bezeichnet. Der ist zum Glück nicht so wichtig, gibt Biermann gelassen zurück, dafür gibt es Dokumente. Kein Thema im Goethe- Theater. „Ich wollte Sie auch nur verunsichern!“ schiebt der Publikums-Mann nach. Warum wollen Sie da Mühe reinstecken? Ich bin doch unsicher genug! Denn mit Künstlern, die nicht Kunsthandwerker sein wollen, wächst die Urteilskraft viel schneller als die Fähigkeit, ihr zu genügen...
Immer noch, nach all den Jahren, fall' ich auf ihn rein. Geh' mit aufs Glatteis. Und er kriegt die Kurve und ich steh' da mit meinen Vorurteilen. In der DDR, in der bleiernen Zeit, hätte Hölderlin gesagt, da haben Leute wie ich, die etwas helle waren... NaNa! denke ich... ganz genau gewußt, es würde ewig dauern... Reingefallen. Also gar nicht helle. Das ist die Hälfte der Unterdrückung, daß die Menschen glauben, der Unterdrücker hält länger als sie. Da wirst du kleinmütig. Und ich hatte so wahnsinnige Angst, daß ich nicht mehr hoffen kann, daß sich alles ändert!
Ein neues Lied: Melancholie. Nicht die faule Art von Traurigkeit, die ich nicht mag. Sondern daß man verzweifelt ist, wozu es allen Grund gibt (nur die Blöden sind nicht verzweifelt). Und daß man voller Hoffnung ist. Und wenn man beides in einer kleinen Menschenbrust zusammenkriegt, dann kann man leben.
Das Lied geht an einer Stelle so: Wer Hoffnung predigt, tja der lügt. Doch wer die Hoffung tötet, ist ein Schweinehund. Und ich mach' beides und schrei': Bitte sehr, nehmt was ihr braucht — denn allzuviel ist ungesund ...
Langer Beifall. Zugabe! Noch eine! Die alten Lieder! Biermann: Ach, wo ich doch so ein alter Baum bin, will ich doch frische Früchte zeigen und nicht lauter Konservendosen! Und singt. Neues.
Wenn Biermann gut ist, geht man anders weg, als man kam. Naja, ein bißchen. Ziemlich. Susanne Paas
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