piwik no script img

Mehr wagen als gewinnen

■ Ein Rückblick auf die Messe der »Berliner Independent Days«

Die Berliner Independent Days, griffig BID genannt, jährten sich vom 21. bis 24. Oktober zum vierten Mal. Die Messe für Firmen aus der (von den Majors) unabhängigen Musikszene fand dieses Jahr ganz im Zeichen der Öffnung nach Osten im Haus der Sowjetischen Kultur und Wissenschaft an der Friedrichstraße statt. Auf zwei Etagen präsentierten sich Label, Vertriebe, Promotionsfirmen oder Medien an den bekannten weißen Ständen dem Fachpublikum, das heißt ihresgleichen. Neben der Zurschaustellung der neuesten Szenekleidung diente das vor allem der Kontaktaufnahme zwischen den ziemlich versprengt arbeitenden kleinen Unternehmen. Besonders auf internationaler Ebene soll die BID eine bessere Zusammenarbeit mitinitiieren.

So waren einige Labels aus Finnland, Dänemark, der Sowjetunion oder Italien vertreten, die die europäische Vereinigung vorantreiben wollten und nach Vertriebsdeals suchten. Der Musikmarkt wird auch im Independent-Bereich von britischen und amerikanischen Klängen beherrscht, die leichter den Weg in die europäischen Länder finden als umgekehrt. Die Öffnung in Osteuropa hat in erster Linie dazu geführt, daß begehrte Musik aus dem Westen, sprich USA und England, nach Ungarn, Polen oder in die CSFR gelangte. Wie die dort entstehenden Bands und deren Label vom neuentstandenen Markt profitieren können, ist eine noch offene Frage und ein großes Problem. So beschäftigten sich mehrere Podiumsdiskussionen und Workshops (»Panels« in der Fachterminologie) mit den Möglichkeiten, einen Fuß in den angloamerikanischen Markt zu kriegen. Auch für deutsche Bands eine immense Schwierigkeit, wenn man nicht Einstürzende Neubauten heißt.

In England hat sich die Situation verschärft, weil Anfang des Jahres der größte Independent-Vertrieb Rough Trade in Konkurs gegangen ist, und die Label jetzt zusehen müssen, ihre Platten weiterhin über andere Vertriebe oder neugegründete Verteilernetze in die Läden zu kriegen. Da ist das Interesse für ausländische Lizenzen oder Importe stark rückgängig. Eine Chance haben laut Falcon Stuart von Awesome Records nur Bands und MusikerInnen, die sich eine kulturelle Identität bewahren, keinen englischen Trend imitieren, aber dabei auf Englisch singen. »Es ist eine Bastard-Situation ... und eine hohe Forderung an europäische Acts.« Sogenannte World Music, ein Mix aus ethnischen Klängen und modernen, westlichen Sounds, findet Käufer in den englischsprachigen Ländern. Die Frage eines polnischen Labelvertreters, ob es momentan in England Möglichkeiten für die Veröffentlichung polnischer Undergroundbands gebe, wurde rundweg verneint — gleichzeitig bedauerte man. Aber Independent-Firmen können neben den Majors nur bestehen, wenn sie auf die Verkäuflichkeiten ihrer Produkte achten [worin unterscheiden sich eigentlich independents von den majors? sezza]. Das bedeutet nicht, auf die Charts zu schielen, doch auch kalkulierte Auflagen von 2.000 bis 5.000 Stück müssen in einem sich immer weiter zersplitternden Markt erst mal abgesetzt werden. In den USA ist das noch schwieriger, weil das Land so riesig und vertriebstechnisch schwer abzudecken ist. Kleine Labels müssen mit vielen verschiedenen Vertrieben zusammenarbeiten und haben meist Probleme, ihre Gelder von diesen einzutreiben. Neil Cooper von POIR-Tapes: »Bis Rechnungen bezahlt werden, vergehen bis zu 115 Tage. Dazu kommt ein prinzipielles Rückgaberecht der Vertriebe und eine Rückgabequote von 25 Prozent. Das gibt es in Europa nicht. In den USA ist eine Platte erst verkauft, wenn der Kunde sie nicht zurückbringt.« Deshalb überlegen die Label dreimal, ob sie das Wagnis eingehen sollen, ausländische Produktionen in diesem Lottospiel zu plazieren. Musik aus eigenständigen Szenen wird eher übernommen. Der momentane Erfolg von Dance- und Technomusik aus Deutschland oder Belgien ist ein Beispiel dafür. Cooper empfiehlt dazu: »Man muß einen hungrigen, wachsenden Vertrieb finden. Die hören noch zu, weil sie neue Produkte finden wollen.«

Ein Wagnis bleibt der Versuch, die musikalische Einbahnstraße zu durchbrechen, allemal. Es erfordert gute Organisation und effektive Promotion, keine leichten Aufgaben bei den limitierten Ressourcen vieler Firmen. So trifft das Motto der diesjährigen BID »Es zum vierten Mal wagen« besonders auf die tägliche Arbeit der Beteiligten zu. Michael Ballauff

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen