KOMMENTARE: Konsequent
■ Hans-Jochen Vogel kündigt seinen Rücktritt als SPD-Fraktionschef an
Für seinen Vortrag über Elitenwechsel, den Hans-Jochen Vogel am Wochenende in Tutzing halten wird, hat er seit gestern zweifellos eine überzeugende Ausgangsposition. Dennoch, daß Vogel, der wie kein anderer Bonner Spitzenpolitiker für geregelte Abläufe steht, seine Partei mit einer Rücktrittsankündigung ohne geregelte Nachfolge konfrontiert, kommt einigermaßen überraschend. Fast scheint es, als wollte er, der das ausgelaugte Klischee vom Klarsichthüllenverwalter nur noch mit gezwungenem Lächeln quittieren konnte, am Ende eben auch mal aus der Rolle fallen. Ohnehin hat sich der Fraktionschef, dessen Rückzug spätestens für das Ende der Legislaturperiode programmiert war, in der Auslaufposition nicht sonderlich wohl gefühlt. Verbitterung über frühzeitige Nachfolgespekulationen, das Unverhältnis zu Lafontaine oder die eher knirschende Zusammenarbeit mit dem neuen Parteichef — an Gründen für Vogels Entscheidung mangelt es nicht.
Doch auch aus der Sicht dessen, der den zentralen Einfluß der Bundestagsfraktion für die Politik der Gesamtpartei immer verteidigt hat, ist der Entschluß durchaus konsequent. Denn gegen die ambitionierten SPD-Ministerpräsidenten und die mit Engholm um neues Profil bemühte Parteizentrale, die ihren Generationswechsel bereits hinter sich haben, konnte eine Vogel-geführte Fraktion nur noch an Einfluß verlieren. Sie stand für relative Stabilisierung nach dem Bonner Machtverlust — und für das bislang verpaßte bundespolitische Comeback. Letzteres wiegt umso schwerer, weil kaum eine frühere Regierungskoalition ihre Fragilität und Überfälligkeit deutlicher signalisiert hat. Daß die SPD-Fraktion trotz der grassierenden Krise der Union, dem offenen Streit der Koalitionsparteien und dem enormen bundespolitischen Problemdruck ihr politisches Gewicht im vergangenen Jahr kaum vergrößern und sich bis heute nicht ernsthaft als Regierungsalternative präsentieren konnte, läßt Vogels Rückzug am Ende durchaus plausibel erscheinen.
Ein Nachfolger freilich, der den Willen zum Bonner Machtwechsel überzeugend verkörpern könnte, ist nicht in Sicht. Eher droht der Fraktion wie schon nach Vogels Rückzug als Parteichef eine quälende Nachfolgedebatte, die dann von einem der — zugegeben vielen — denkbaren Kandidaten mit einem lau-forschen „wat mutt dat mutt“ wenig überzeugend beendet wird. Wolfgang Schäuble jedenfalls, der jetzt zeitgleich die Führung der Unionsfraktion übernehmen wird, braucht sich nicht sonderlich zu ängstigen. Für die Sozialdemokraten allerdings könnten dann — trotz neuer Spitze — die Zeiten bequemer Profilierungschancen endgültig passé sein. Mathias Geis
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